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Sonntag, 1. Mai 2016

Das unheimliche Zimmer

Eigentlich wohne ich auf der Terrasse vor dem Haus im Freien. Doch im Haus befindet sich ein riesiges unbewohntes Zimmer, das mir allerdings nicht gehört. Da es aber auch sonst niemand benutzt, habe ich die Fensterscheibe eingeschlagen, um in dem Zimmer ein Paar Klamotten von mir zu lagern, damit sie trocken bleiben. Das Zimmer selbst besteht nur aus Holzbohlen und etwas Gerümpel, ist dabei aber so groß wie ein Saal und sehr dunkel, besonders nachts. Ab und zu stöbere ich etwas herum, doch in den Teil des Zimmers, der dem Fenster gegenüber liegt und als ein Drittel der Wandlänge noch sehr tief in das Innere des Hauses hineinführt, wage ich mich nicht, weil es dort so finster ist, daß man die Hand nicht vor Augen sieht. Und ich finde es generell etwas gruselig in diesem unbewohnten Saal. Deshalb hänge ich zum Beispiel meine Jacke direkt in das Fenster, damit ich nicht erst in das Zimmer hineinklettern muß, um sie zu holen. Wenn sie im Fenster hängt, bleibt sie auch trocken. Manchmal wärme ich mich aber drinnen ein wenig auf, wenn es draußen zu kalt, naß und windig ist. Vor der Fensterwand ist über die ganze Länge eine weiße Plane über den Holzbohlen ausgebreitet, welche einige Dinge verdeckt, was man an den Hügeln sieht. Nicht immer möchte ich wissen, was darunter liegt, denn ein Hügel sieht aus wie ein menschlicher Körper. Von mir sind es jedoch zwei Paar Pumps mit spitzen Absätzen, ein weißes und ein schwarzes, die ich dort aufbewahre. Aber ich brauche sie wohl nicht, denn ich sinniere darüber nach, ob es richtig wäre, sie einfach hier liegenzulassen, wenn ich fortgehen würde. Vielleicht wäre es besser, sie dann zu entsorgen, denn ein Aberglaube besagt, daß man an Orte zurückkehrt, an denen sich noch Dinge von einem befinden. Und hierher zurückzukehren hätte ich überhaupt keine Lust. Trotzdem schaue ich mich bei Gelegenheit, hauptsächlich nachts so wie jetzt, wenn es niemand merkt, immer mal wieder um, zum einen aus Neugierde und zum anderen in der Hoffnung, etwas für mich nützliches zu finden. An einem Teil der Wand entdecke ich eingeritzte Graffitis mit Zeilen aus einem Songtext von PJ Harvey. Send his love to me - vielleicht hat das lyrische Ich aus diesem Song hier gelebt und liegt nun unter der Plane? Noch ein Grund, nicht hierher zurückzukehren. Es ist als würde der Geist diesen Saal bewohnen. In einer anderen Ecke bauscht sich ein offener Fallschirm, ein riesiger Berg glänzender und raschelnder Fallschirmseide, der völlig verheddert und verknotet ist. Doch wenn ich woanders hingehen könnte, warum tue ich das nicht, bleibe hier und schaue immer wieder in das Zimmer, welches mir unheimlich ist? Bin ich vielleicht sogar selbst der Geist?



from ❀Tänzerin zwischen den Welten (...oder ein Blumenkind im Asphaltdschungel) http://ift.tt/1O4AEI4

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