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Donnerstag, 4. August 2022

Kategorie: Erschröckliches

Es gab eine Phase, in welcher ich extrem fasziniert von alten Sagen aus dem Spreewald war. Diese Zeichnung ist meine mit Kugelschreiber schnell hingeworfene Vorstellung der "Muhme im Korn", bzw. "Mittagsfrau". Laut der Sage, so wie ich sie in einer altertümlichen Sammlung gelesen hatte, erscheint die Mittagsfrau an heißen Tagen zur Mittagszeit im Feld und wer ihr begegnet, muß ihr eine Stunde lang alles über die Flachsverarbeitung erzählen, ansonsten schneidet sie den Menschen mit einer Sichel den Kopf ab. Ich finde ja, für eine Mittagsfrau sieht sie ziemlich ausgeglichen aus. Und das Lächeln ist mindestens so rätselhaft wie das der Mona Lisa. 

Diese Faszination für Sagen aus dem Spreewald mag daher kommen, daß ein Teil meiner Familienlinie aus dem Spreewald stammt und meine Großeltern in einem Spreewalddorf lebten. Natürlich fuhr man immer mal wieder zu Besuch dorthin. Damals gab es sogar eine Busverbindung ab Königs-Wusterhausen - ich weiß nicht, ob es die heute auch noch gibt. Meine frühen kindlichen Eindrücke von diesen Besuchen sind teilweise ziemlich "spooky". Ich bin mir nicht sicher, ob es einfach daran lag, daß ich eben ein Stadtkind war und das ja teilweise schon reicht, diese andere Umgebung unheimlich zu finden, oder ob meine Oma da manchmal etwas nachgeholfen hat. Solchen Schabernack hatte sie durchaus drauf. Ich kann mich z.B. schwach erinnern, daß sie mal "nachts" mit mir auf dem Friedhof war. Vermutlich war es nicht nachts, sondern abends, nachdem es dunkel wurde. Was sie dort mit mir wollte - keine Ahnung. Auch hörte ich jedes einzelne Mal, wenn ich dort eintraf, erst einmal die schaurige Geschichte von dem an der Mühle ertrunkenen Kind. In diesem Dorf gibt es nämlich, neben einem Kahnhafen, auch eine Mühle an einer Brücke mit wirbelndem Wassersturz. Wenn ich heute Fotos davon sehe, finde ich diesen Wassersturz erstaunlich winzig. Als Kind kam er mir viel größer vor und die Schauergeschichte hat ihn vermutlich zusätzlich vergrößert. Ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Story überhaupt wahr gewesen ist. Ich würde meiner Oma zutrauen, daß sie sich das ausgedacht hat. Vielleicht gehört es aber auch zur bewährten Tradition im Spreewald, daß man den Kleinen von bösen Wassermännern und ertrunkenen Kindern erzählt, gerade weil es dort so viel Wasser gibt und man sie damit vom Wasser fernhalten will. Diese Mühe hätte sich meine Oma bei mir sparen können, denn ich war nie ein Kind, das schnell mal in irgendein Wasser gesprungen ist. Sogar, um nur mit den Füßen in einen Fluß oder in einen Teich zu gehen, brauchte ich mindestens zehn Extra-Aufforderungen. 

Weiterhin gibt es in diesem Dorf einen Schloßberg und einen düsteren Turm, >>die man beide auf diesem Foto sehen kann. Der Berg nennt sich deshalb Schloßberg, weil laut alten Legenden ein Wendenkönig darauf seine Burg hatte. Bei Grabungen für die Spreewaldbahn fand man dann tatsächlich Überreste davon. Aber auch alleine schon die lange Busfahrt durch endlose dunkle Wälder war aufregend. Bei Morgengrauen von krähenden Hähnen vor dem Fenster geweckt zu werden, vielleicht weniger gruselig als ungewohnt. Meine Großeltern waren außerdem mit mir zur Mittagszeit auf dem Feld. Und ehrlich - wenn man sich bei flirrender Mittagshitze allein auf weiter Flur zwischen Feldern befindet, kann das schon ziemlich unheimlich sein, vor allem, wenn aus den Feldern noch hie und dort einsame Vogelscheuchen ragen. Jedenfalls passten in dieses schaurig-romantische Ambiente, wie ich es erlebte, die Geschichten von Irrlichtern, Wassermännern, kopflosen Reitern und Mittagsfrauen grandios hinein. Man konnte sie geradezu überall spüren. 

Zusätzlich erhielt meine Phantasie Nahrung durch einige exotische und geheimnisvolle Familienfotos und Erzählungen über meine Urgroßmutter, die noch Sorbisch sprach und die Spreewälder Tracht trug. Man sieht sie als Kind oder junges Mädchen - das kann man in der Tracht gar nicht so richtig einschätzen, und zusammen mit ihrer Schwester. Da sie sehr jung gestorben ist, mit 33 Jahren, gab es später nur noch Bilder von der Schwester. Und wer diese illustre Dame mit Haube auf dem vierten Familien-Bild ist, weiß eigentlich niemand so genau. Da das Foto relativ jung ist, vermute ich, das war eher ein Schnappschuß vom Gemeindefest und keine Familie. Meine Großmutter jedenfalls hätte garantiert niemals solche Hauben getragen, die war eher flott drauf, wie die beiden Fotos von ihr aus den 20ern beweisen. Auf dem letzten Bild sieht man mich am Kahnhafen. 

008

Urgroßmutter 2 Urgroßmutter 1

Spreewalddörfliches Treiben

Oma in den 20igern 2

Familiendia 9

1 Kommentar:

  1. Namesi auf fb: "Mittagsfrau im Spreewald. Gruslig. Ich bleibe in Berlin, auf jeden Fall mittags."
    Zucker: "Inzwischen gibt es dort so viel magischen Kommerz und Touristen, daß die Mittagsfrau wahrscheinlich längst das Weite gesucht hat. 😉"

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