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Samstag, 13. Juli 2019

Mein Elternhaus - Wohnungen und Bewohner, Teil 2

Nach einigen Jahren ist Frau Sch. in ein kleines, altersgerechtes Domizil umgezogen und die Wohnung über uns wurde für die Familie des neuen Pfarrers frei, der in unsere Gemeinde kam. Dieser war mir von Anfang an unsympathisch, was sich mit den Jahren noch steigerte und seinen krönenden Höhepunkt und Abschluß in dem Brief fand, den ich von ihm anlässlich meines Kirchenaustritts erhielt, worüber ich an anderer Stelle schon einmal berichtete. Man merkte mit der Zeit, dass er sehr ehrgeizig war, Ehrgeiz gepaart mit einer unangenehmen Härte und Kälte, und während ich mir damals noch dachte, ich bilde mir dieses nur ein, wurde letztendlich mein erster äußerer Eindruck durch sein Handeln und seine Äußerungen bestätigt. Trotzdem konnte er auch sehr charmant sein und aalglatt, überhaupt war es ein äußerst attraktiver Mann. So attraktiv und gutaussehend, dass man sich heimlich, bzw. mein Vater tat es auch offen, fragte, was er mit dieser Frau wollte, welche seine Ehefrau war. Jene gab das Musterbeispiel für etwas ab, was man gemeinhin in Berlin ein Bauerntrampel nennt. Unansehnlich, behäbig und immer irgendwie verhuscht und geduckt, mit dem Gebaren einer Dienstmagd, war sie jedoch von der ganzen Familie noch diejenige, die am freundlichsten und menschlichsten wirkte.
Die beiden Söhne, Zwillinge, kamen zumindest vom Aussehen her ganz nach ihrem Vater und es dauerte nicht lange, bis jeder festgestellt hatte, dass sie unausstehlich waren. Sie zogen im Alter von ca. 5 Jahren ein, also für unseren höfischen Spielkreis viel zu jung, nichtsdestotrotz versuchten wir anfangs, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und bei einigen Spielen zum Mitmachen einzuladen. Doch wir merkten bald, dass sie daran kein Interesse hatten, im Gegenteil, es schien ihnen viel mehr Spaß zu machen, unsere Spielrunden zu stören und sich mit einer großspurigen Dreistigkeit über unsere Einfälle lustig zu machen. Da sie immer zu zweit waren, fühlten sie sich anscheinend mächtig stark, mußten aber bald einsehen, dass wir, die wir zu dritt waren und außerdem viel älter und größer, uns von ihnen unseren Spaß nicht verderben lassen würden. Es endete damit, dass niemand mehr etwas mit ihnen zu tun haben wollte und sie weiterhin alleine spielten, nur S. der Bruder von Susi, der ungefähr im gleichen Alter war, schloß sich ihnen manchmal an, allerdings hatte man den Eindruck, dass sie ihn teilweise ganz schön fertig machten, jedenfalls kam er oft heulend angelaufen.
Auch meine Eltern hatten, nachdem der neue Pfarrer mit seiner Familie eingezogen war, keine Ruhe mehr, denn eine Etage über uns hatte man das große Durchgangszimmer, welches bei uns als Wohnzimmer diente, anscheinend zum Fußballzimmer umfunktioniert.

Darüber, im Dachgeschoss, wohnte Familie B., jedoch kann ich mich nur noch an die hagere, dunkelhaarige Frau und den schon jugendlichen, älteren Sohn erinnern, der immer in Parka und Sandalen herumlief und bereits die 10. Klasse, bzw. später seine Ausbildung absolvierte. Eines Tages schnappte ich, wahrscheinlich von meinen Eltern, das Gerücht auf, dass er schräg nach unten in das Badfenster des Kantors gespannt hätte, um dessen Frau beim Baden zu beobachten. Da ich nicht glaube, dass sich das jemand ausgedacht hat, wird es wohl so gewesen sein, und das Spannen war in diesem Haus wegen der Winkelform wirklich einfach, da man über Eck leicht in die Fenster auf der anderen Seite einsehen konnte. Im Vorderhaus hatten die Wohnungen viel weniger Zimmer und liefen parallel zur Straße, die im übrigen vor unendlichen Zeiten eine Spielstraße gewesen ist. Ich kann mich noch an Tage erinnern, als dort kaum ein Auto fuhr und ich mit meinem Bruder mitten auf der Straße Rollschuh gelaufen bin. Leider wurde schon ziemlich bald die Kleingartenanlage, die sich bis weit hinter die Kirche erstreckte, abgerissen, und danach Neubauten errichtet. Darauf war es dann vorbei mit der Spielstraße.

Im Paterre im Vorderhaus wohnte der Hausmeister, welcher gleichzeitig der Opa meines Spielfreundes M. war. Ganz früher hatten er und seine Frau einen schwarzen Pudel, der, wenn ich mich richtig entsinne, Hasso(?) hieß, aber schon bald gestorben ist. M. hielt sich tagsüber, wenn seine Eltern, die im Dachgeschoß des Vorderhauses wohnten, sich auf Arbeit befanden, immer unten bei seinen Großeltern auf. Zu dieser Wohnung gehörte nach hinten, auf den Hof raus, ein winziger (Vor)Garten, der liebevoll von der ganzen Familie gepflegt wurde und aus welchem wir manchmal Schnittlauch stibitzten, um darauf herumzukauen.

Die Wohnung über der des Hausmeisters und unsere Nachbarwohnung hatte stets der Kantor inne. In meiner Kindheit war das der Herr P., ein langer, schlaksiger, schwarzhaariger und immer gut gelaunter Mann mit einer dicken Brille, der irgendwie auf eine gewisse Art aristokratisch wirkte, ja, heute würde ich dazu fast tuntenhaft sagen, aber gerne Witze erzählte und Späße machte. Seine Frau sang in einem bekannten Rundfunkchor und da mein Zimmer direkt neben ihrem Bad lag, beide nur durch eine dünne, eingebaute Rabitzwand getrennt, hörte ich sie dort jeden Abend ihre Stimmübungen machen und wie eine Nachtigall trällern. Im übrigen war sie, genauso wie er, stets gut gelaunt und fröhlich, aber das hatte wohl nicht viel über ihre Ehe zu sagen, denn irgendwann ließen sie sich scheiden. Der Herr P. war auch der Leiter des Kirchenchores, zu dem ich wöchentlich ging, wobei der Begriff Kirchenchor für die paar Hansels ziemlich übertrieben wirkt. Und wenn ich nicht gerade in der Kirche vorsingen sollte, hat es mir großen Spaß gemacht. Generell fand ich die Nachmittage im Kirchenchor und bei der Christenlehre immer viel schöner, als die Pioniernachmittage in der Schule. Irgendwie war das alles familiärer ungezwungener, wahrscheinlich auch, weil nur wenige daran teilnahmen. In der Christenlehre spielten wir lustige Spiele (besonders gerne spielte ich eines, bei welchem man blind die Umrisse eines auf Pappe aufgedruckten Gegenstandes erfühlen und dann erraten musste, was es ist), bekamen Geschichten erzählt oder sangen Lieder. Zu Weihnachten stand in der Mitte des quadratischen Tisches, um den wir uns versammelten, jedes Jahr ein schönes Weihnachtsgesteck. Und ich hatte natürlich den riesigen Vorteil, dass ich nur im Haus eine Treppe höher steigen musste, um dort zu sein, genauso, wie ich in den Kindergarten nur durch das Hinunterlaufen einer Treppe gelangte. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich heute so eine Abneigung gegen lange Wege habe und immer zu faul bin, diese auf mich zu nehmen. Eben verwöhnt.

Aber zurück zu Herrn P. Ich kann mich an eine Begebenheit erinnern, als ich im Wohnzimmer an unserem alten verstimmten Klavier saß und vor mich hinklimperte. Ich konnte nie richtig Klavierspielen, hatte mir aber selbst beigebracht, durch Ablesen von Noten und einer mit Faserstift aufgemalten Markierung des C auf den Tasten, einzelne Lieder aus einem Kinderliederbuch mit zwei bis vier Fingern nachzuspielen und dazu zu singen. Dies tat ich wieder einmal mit voller Inbrunst und bei geöffnetem Fenster, als ich, nachdem ich geendet, ein lautes Klatschen hörte. Neugierig lief ich zum Fenster und da stand die Frau des Kantors, die gerade ihren Trabi auf dem Hof gewaschen hatte, und applaudierte zu mir hoch. Ein kleines bißchen war es mir ja peinlich, aber irgendwie überwog doch die Freude über diesen unverhofften Applaus. Der Herr P. hat übrigens später die Gemeinde verlassen und statt dessen im damals neuen Schauspielhaus Berlin Orgel gespielt. Danach ist ein Kantor gekommen, mit schmalzigen Kringellöckchen, Brille und mürrischem Gesicht, der irgendwie auf mich ebenfalls eher unsympathisch wirkte. Nun sang nebenan im Bad niemand mehr, aber dafür hörte ich ihn fast jeden Abend zusammen mit seiner Frau baden. Als ich den anderen Kindern dies erzählte, fanden sie das irre lustig und sagten das sofort ihren Eltern weiter.
Als ich irgendwann das Alter erreicht hatte, in welchem ich nicht mehr auf dem Hof spielte, sondern stattdessen Westradio, mit den neuesten Popsongs und Charts hörte (und nicht nur das - ich sang auch gerne mit), beschwerte er sich einmal bei meinem Vater, dass ich ständig JAZZ(!) höre. Nun ja, Jazz ist etwas völlig anderes und bis auf Swing nicht gerade mein Fall, aber ok, als Kantor soll man zum Glück nur Orgel spielen können.

Fortsetzung folgt

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