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Donnerstag, 19. Juli 2018

Die Pension des Grauens

Manchmal hat die Zeit Schluckauf und dann entstehen Zeitlöcher. Sehr gut beobachten läßt sich das auch immer wieder beim Zumba. In der letzten Woche noch war ich total erstaunt, als die Zumbine plötzlich schon zum Cool Down überging, weil ich völlig das Gefühl hatte, erst eine halbe Stunde getanzt zu haben. Aber zum Glück gibt es ja Uhren. Und gestern war beim Zumba genau das Gegenteil der Fall - die Zeit dehnte sich wie Kaugummi. Schon verrückt, diese Zeit. Nach dem Zumba-Training hatte ich gestern außerdem schlechte Laune. Gewöhnlich hat mir Zumba mal gute Laune gemacht, aber irgendwie kommt es immer häufiger vor, daß ich schlechte Laune bekomme. Vielleicht ist das ja ein Zeichen, daß ich nicht mehr am richtigen Ort bin. Mein Horoskop sagt über die Zeitqualität: "..denn Sie sind nicht mehr ganz an Ihrem richtigen Platz, und noch nicht an einem neuen Platz. Gehen Sie aber davon aus, dass der neue Platz besser zu Ihnen passen wird als der alte! "(Pl Quadrat MC) Wenn sich denn mal ein neuer Platz zeigen würde!

Manchmal bleibt die Zeit auch einfach stehen. Wie neulich in dieser kleinen Pension, die sich völlig im Stil der 50er Jahre zeigte. Allerdings befürchte ich, daß es nicht nur ein Stil war, sondern die Einrichtungsgegenstände ebenfalls noch aus den 50ern stammten. Das Bett krachte so laut, wenn man sich raufsetzte, daß man jedesmal kurz dachte, es bricht zusammen. Außerdem durfte man sich beim Schlafen im Bett nicht umdrehen, weil man dann nämlich von dem Lärm wieder aufwachte, den das Bett machte. Leider hatte ich auch noch mein Schlafschaf vergessen, das sonst bei jeder Reise mit dabei ist. Am kleinen Schränkchen mit dem Fernseher fehlte ein Bein und stattdessen war ein kleiner Stapel Spanplatten druntergeschoben. Der 50er-Jahre Trottellampenschirm hatte auf der zur Wand gedrehten Seite ein großes Loch, aber immerhin waren die bestickten Spitzendeckchen und die Tüllgardinen frisch gestärkt. Weiterhin lagen überall tote Insekten herum, aber das Durchgehen der Räume mit Insektengift hatte anscheinend nicht durchschlagende Wirkung gezeigt, denn von der Lampe hing doch noch eine Spinne an langem Faden herunter. Deshalb schaute ich auch erstmal noch über dem Bett nach, bevor ich darin fast zusammenbrach.

Hätte ich das alles in Schwarz-Weiß gesehen, hätte ich sofort an Bates Motel gedacht, schon deshalb, weil die Pension von einer alten Dame in den 70ern und ihrem jungen, schwarzhaarigem Sohn geführt wird. In Farbe allerdings wirkte alles nur sehr muffig, bieder und abgenutzt. Als ich von der alten Dame den Schlüssel überreicht bekam, hatte dieser ein rundes, weißes Ding als Anhänger, wovon alle meinten, es sähe aus wie ein Knochen, worauf sich vier eingeritzte Kerben befanden. Irritiert schaute ich auf diesen seltsamen Anhänger und fragte nach der Zimmernummer, worauf sie mir an den Kerben vorzählte: eins, zwei, drei, vier! Ah ja, was für doofe Frage! Ich bin es halt einfach nicht mehr gewohnt, Keilschrift zu lesen.

Aber der Höhepunkt war dann wirklich das Badezimmer. ein kleiner, wahrscheinlich höchstens vier Quadratmeter großer Raum, mit einem dafür ziemlich großem und tiefgelegtem Fenster. Eine enge Duschkabine genau neben der Tür und Toilette und Waschbecken vor dem Fenster. Gegenüber nur ca. zwei Meter entfernt, die Fenster der Privatwohnung. Und am Toilettenfenster - zwar waren noch die Befestigungsüberreste eines Rollos zu sehen, vom Rollo aber weit und breit keine Spur. Auch keine Gardine. Man saß quasi auf der Toilette wie auf einem Thron im Schaufenster und vor dem Waschbecken stand man direkt im Schaufenster. Zum Glück befand sich in einem der Zimmer eine Decke, welche ich abends über die - gottseidank - vorhandene Gardinenstange drapierte. Lust dort in die Duschkabine zu steigen, hatte ich allerdings trotzdem überhaupt keine.

Das Frühstück war natürlich so einer Pension entsprechend nicht sehr vielseitig. Es gab nur eine Sorte weißer Brötchen, was ja normal ist. Wirklich schrecklich fand ich aber die Edelstahl-Marmeladenbehälter. Nicht nur, daß sie grauenvoll aussahen und ebenfalls so, als ob sie noch aus den 50er Jahren stammen: ein eckiges Schüsselchen mit einer runden Klappe mit Löffelloch darüber und alles auf einem dazugehörigem Untersetzer und über und über mit Fingerabdrücken übersät. Dazu kommt, daß ich eine Edelstahl-Aversion habe. Also nicht gegen Edelstahl an sich, aber Edelstahl in Verbindung mit Lebensmitteln. Schon als Kind konnte ich keinen Tee trinken, der mit einem Teesieb aus Edelstahl zubereitet war, weil der ganz eklig nach Metall geschmeckt hat. Meine Eltern wollten mir immer einreden, daß ich mir das alles nur einbilde, daß ich überempfindlich bin und daß da kein Metall sein könne, aber ich habe das Metall auch rausgeschmeckt, wenn ich nicht wußte, womit der Tee zubereitet ist, und ihn nicht mehr getrunken. Seitdem setze ich Edelstahl meist nur für Zwecke ein, wo es nicht sehr lange mit Wasser oder anderen Nahrungsmitteln in Berührung kommt. Kann sein, daß man in der süßen Marmelade gar keinen Unterschied gemerkt hätte, aber alleine bei dem Gedanken daran, daß vielleicht die Säure der Marmelade noch extra Metallpartikel rauslöst, verging mir dann doch jeder Appetit.

Schlafschaf

2 Kommentare:

  1. Freue dich über das Erlebnis, das du gehabt hast, mit richtigem 50er-Jahre-Kram und so. Außerdem war die Unterkunft wahrscheinlich günstig zu haben - und das birgt eben ein paar Risiken.

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  2. Da es ein sehr kurzes Erlebnis war, kann man da auch schnell drüber lachen. Aber hätte ich dort länger aushalten müssen, hätte ich wohl nicht viel Freude an einem Urlaub gehabt.

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