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Sonntag, 19. November 2023

Royale Kunst

Auf Youtube stolperte ich über eine englischsprachige Dokumentation, in welcher Prinz König Charles persönlich durch die eigenen Kunstwerke und die seiner Vorfahren führt. Ich wußte bereits, daß Charles malt, allerdings nicht, wie künstlerisch das englische Königshaus insgesamt veranlagt ist. Es beginnt schon mit Maria Stuart und ihren prachtvollen Stickereien, die sie während der zwanzigjährigen Gefangenschaft anfertigte, als sie vermutlich viel Zeit hatte und vielleicht nicht mehr fürchtete, noch den Kopf zu verlieren. Queen Victoria und Prinz Albert hinterließen beide prallgefüllte Skizzenbücher, in welche die Nachkömmlinge heute noch schauen können, und in den königlichen Schlössern hängen Bilder von allen möglichen anderen Vorfahren. Eine Prinzessin Elizabeth zum Beispiel, Tochter von König George III. hinterließ Bilder und später, nachdem sie nach Deutschland verheiratet wurde, kunstvolle Scherenschnitte. Es gab sogar eine Bildhauerin in der königlichen Familie - in der damaligen Zeit für Frauen eher ungewöhnlich. Queen Victoria malte ihre Kinder, das kann man sich quasi wie ein heutiges Fotoalbum vorstellen, nur halt selbstgemacht - statt einen Hofmaler zu strapazieren. Nach dem Tod Alberts hingegen malte sie triste Landschaften. Sehr beeindruckend auch die gezeichneten "Schlachtengemälde" Prinz Alberts, der in seinem Skizzenbuch Kriegsszenen mit akribisch genau dargestellten Soldaten, Verwundeten und Pferden festhielt. Da fragt man sich, was jemanden dazu bewegt, mit so viel Begeisterung solche Szenen zu zeichnen. Um darüber zu spekulieren, müßte man aber mehr wissen, z.B. wann, d.h. in welchem Alter, und wo die Zeichnungen entstanden sind. So tief taucht die Doku jedoch nicht ein. 

Dasselbe frage ich mich manchmal, wenn ich an den Onkel meiner Mutter denke, dessen letztes Lebenszeichen die Zeichnung eines Schlachtfeldes bei Stalingrad war. Er war ein Stubenmaler, bemalte also eigentlich Wände und Decken, was damals aber noch ein bißchen etwas anderes als nur Maler/Lackierer war, denn in der früheren Ausbildung zum Stubenmaler mußte man zeichnen können, da Illusionsmalerei und Dekorationen zum Repertoire gehörten. Warum hat er dieses Schlachtfeld gezeichnet und dann auch noch an seine Angehörigen geschickt? Wußte er schon, daß er das nicht überleben würde und wollte, daß etwas von ihm bleibt? (Tja, Pech gehabt - die Bomben auf Berlin erledigten den Rest.) Machte er sich Hoffnungen, daß die Menschen aufwachen würden? Wünschte er sich, daß die Menschen nach ihm klüger sein würden? Oder wollte er sich einfach nur ablenken und mit etwas beschäftigen? Niemand konnte ihn das je fragen und heute würde er wohl in seinem unbekannten Grab rotieren, wenn er wüßte, daß den Menschen mit noch so viel Kunst der Welt nicht zu helfen ist. Inzwischen gibt es Filme, Literatur, Gemälde und Gedenkstätten zum Thema noch und nöcher, mehr als jemals in der Menschheitsgeschichte, absolut niemand kann behaupten, er wüßte nicht, wohin eine infantile, einseitige Weltsicht und Kriegstreiberei führt, und dennoch ist nach nur wenigen Generationen stets so viel vergessen, daß man unbedingt mal wieder "live" dabei sein möchte. 

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