In meiner Kindheit spielte ich bei ausreichendem Wetter
am liebsten draußen oder in den Hausfluren, wozu ich nicht viel Spielsachen
brauchte, doch an langen grauen Winternachmittagen gab es da etwas anderes,
worauf ich mächtig stolz war - eine gigantische Puppenstube. Obwohl ich
eigentlich wenig mit Puppen spielte, war die Puppenstube etwas, an dem ich sehr
hing, im Gegensatz zu der Sammlung von geschenkten Puppen, die ich besaß.
Seltsamerweise kann ich mich nicht mehr an den Moment erinnern, als ich sie, es
muß wohl zu Weihnachten gewesen sein, geschenkt bekam. Sie war für meine
Begriffe riesig groß, hatte vier Zimmer und auf der anderen Seite eine echte
Hausfassade mit geklinkerten Säulen, kleinem Vorgarten mit grünem Rasen, auf
welchem man auch ein Spielzeugauto abstellen konnte. An der zweiten Etage
verlief ein langer Balkon über zwei Seiten des Hauses. Praktischerweise besaß
sie ein Flachdach, praktisch deshalb, weil man sie so ohne Probleme erweitern
konnte. Dies tat ich mit zwei einzelnen Puppenzimmern, einem Puppenbad, welches
man - Schande über den Architekten - im Haus vergessen hatte, sowie einem alten
Schulzimmer inklusive Schulbank, Tafel mit Kreide und Lehrerpult.
Selbstverständlich erhielten die Kinder des vornehmen Hauses ausschließlich
Privatunterricht. Zur Freude aller Kinder, die an dem Puppenhaus mitspielen
durften, besaß das Bad an der Außenwand zwei große Wassertanks. Diese konnte man
mit Leitungswasser füllen und dann die kleine Wasserhähne über Wanne und
Waschbecken aufdrehen, aus denen jetzt das Wasser wieder herauslief. Außerdem
gab es ein echtes kleines Klo, bei dem man den Deckel hochklappen und an der
Spülung ziehen konnte. Auch wenn ich alleine wenig mit den Puppen spielte,
beschäftigte ich mich doch Stunden damit, das Haus umzuräumen, zu dekorieren und
mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten auszustatten. Ich fertigte aus alten
Fellen Teppiche, aus Stoffen Gardinen und Vorhänge für die Rundbogentüren an der
Balkonseite, malte Bilder zum Aufhängen und bastelte kleine Faltbücher für die
Puppenbildung. Mein Cousin bastelte ein Batteriereservoir für verschiedene
Lampen mit echten kleinen Glühbirnen, die man an und wieder ausschalten konnte.
Das Wohnzimmer in der zweiten Etage, mit einer riesigen Fensterwand und einer
davor befindlichen Blumenbank ausgestattet, aus der bunte Plastikblumen
sprossen, besaß sogar einen Fernseher, und zwar einen, in dem man tatsächlich
etwas sehen konnte, allerdings nur, wenn man ihn an das Auge hielt. Es war
nämlich ein Touristenmitbringsel, das mir einmal geschenkt wurde, mit einem
kleinen Guckloch. Wenn man auf einen kleinen Knopf an der Unterseite drückte,
konnte man im Fernseher selbst diverse Bilder von feschen Schwarzwaldmädels
sehen. Ok, vielleicht war das Fernsehprogramm etwas einseitig, aber doch weit
fortschrittlicher als in manch anderer Puppenstube. Unter dem Wohnzimmer lag das
Schlafzimmer, in ihm befand sich auch die Eingangstür des Hauses. Es ist zwar
sicher etwas ungewöhnlich, sich nach dem Eintritt sofort im Schlafzimmer zu
befinden, aber die breiten Puppenbetten brauchten einfach viel Platz und es
schien auch keinen der Bewohner wirklich zu stören. Über das gesamte Haus
verteilt waren witzige kleine Dinge, wie winzige Haarbürsten, bunte Schalen,
klitzekleine Weinflaschen, Wanduhren, in der Küche waren die Schränke voll mit
winzigen Tellern, Tassen und Kännchen, sogar Eßbares gab es, wie kleinste
Käseecken und Brote. Dies alles wurde von einem Porzellan-Bernhardiner
beschützt, dem Hund des Hauses, der einstmals aus einer Glasvitrine dorthin
umgezogen war und schon leicht angeschlagene Pfoten hatte. Und auch ein
Eichhörnchen durfte nicht fehlen. Das Plastiktierchen fand seinen Platz auf dem
Balkon. Dies war das erste eigene Haus in meinem Leben und wird wohl das einzige
bleiben.
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