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Sonntag, 21. Juni 2020

Aus dem Leben Isadora Duncans

"Meine Seele glich einem Schlachtfeld, auf dem Apollon, Dionysos, Christus, Nietzsche und Richard Wagner einander den Boden streitig machten. In Bayreuth wurde ich zwischen Venusberg und Gral hin und her geworfen - Wagners Musik hob mich empor und trug mich in unendliche Fernen - und doch erklärte ich eines Tages bei Tisch in Wahnfried seelenruhig: "Der Meister hat auch Fehler gemacht! Fehler, die vielleicht ebenso groß waren wie sein Genie!" Es folgte ein allgemeines, eisiges Schweigen und Cosima starrte mich erschrocken an. "Ja", fuhr ich mit der außerordentlichen Selbstsicherheit der Jugend fort, "einen großen Fehler hat der Meister jedenfalls begangen. Ein Musikdrama? - Das ist doch Unsinn!"
Das Schweigen am Tisch wurde immer peinlicher. Ich erklärte, dass der Begriff des Dramas untrennbar vom gesprochenen Wort sei, welches seine Wurzel im Intellekt des Menschen habe. Musik sei lyrische Ekstase - beide zu vereinen, sei unmöglich!
Damit hatte ich die größte Blasphemie geäußert, die in diesem Kreis überhaupt denkbar war. Unschuldig blickte ich umher und sah Gesichter, in denen sich absolute Fassungslosigkeit ausdrückte. Ich hatte das Unverzeihliche gesagt. "Ja", fuhr ich unverzagt fort, "der Mensch lernt erst sprechen, dann singen, dann tanzen. Die Sprache vertritt das Gehirn, den denkenden Menschen, der Gesang ist das Gefühl, der Tanz ist die unbändige dionysische Verzückung. Es ist unmöglich, eines mit dem anderen zu verschmelzen...""

("I've only danced my life - Die Autobiografie der Isadora Duncan")

Ich habe jetzt knapp die Hälfte der Autobiografie gelesen und muß feststellen, daß das Leben von Isadora Duncan mindestens ebenso abenteuerlich war, wie das Jack Londons, vielleicht sogar noch ein wenig mehr, zumindest falls sie nicht da und dort ein wenig mit der Umzieh- und Reisefreudigkeit des "Duncan-Clans" übertrieben hat. Aber im Gegensatz zu Jack London, der ein Schiff baute, baute sie lieber einen griechischen Tempel, während sie mit ihrer Familie barfuß durch Griechenland und in der Akropolis tanzte. Es erinnert direkt ein wenig an die Kelly-Family. Oder auch an die ersten Hippies, die es damals aber noch gar nicht gab. Jedenfalls sehr unterhaltsam, aber auch tragisch, wenn man im nachhinein weiß, wie kurz ihr Leben war. Es ist die Dame, die von ihrem langen Seidenschal bei einer Autofahrt erdrosselt wurde. Man gewinnt dabei den Eindruck, daß sie in ihren fünfzig Jahren mehr von der Welt gesehen und erlebt hat, als andere sonst in drei Leben zusammen.

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