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Donnerstag, 26. Mai 2022

Fliegerbomben und Archäologie

Kinders, Kinders, den ganzen Tag lang habe ich heute draußen Gegröle gehört. Ich möchte mal einen Frauentag erleben, der so laut gefeiert wird! Das liegt wohl einfach in der Natur der Sache, denn seit Wochen gibt es ebenfalls einen Amselrich im Hof, der so ekstatisch schmettert, sich dabei fast überschlägt, daß man Angst hat, er fällt gleich tot vom Baum. Jedesmal, wenn ich die Balkontür aufmache sage ich deshalb: "Ja doch, wir wissen alle, daß du singen kannst!" Allerdings klingt der Lärm des Amselrichs wirklich sehr viel schöner, als der Lärm der menschlichen männlichen Exemplare. Schade, daß die Natur den Primaten kein Gesangstalent verliehen hat. 

Ich bin gerade ziemlich aufgeräumt, sowohl wortwörtlich als auch im übertragenden Sinne, weil ich inzwischen fast alles abgearbeitet habe, was zu erledigen war. Nur Fensterputzen muß ich noch. Und sagt jetzt nicht, das ist doch gar nicht so wichtig - das gleiche habe ich mir seit Jahren gesagt, und während der ganzen Katastrophen war das tatsächlich so, aber genau so sieht dieses Fenster jetzt auch aus. Fensterputzen ist bei mir direkt eine Staatsaktion. Ich bewundere immer Leute, die sowas mal schnell aus dem Handgelenk schütteln. Doch ich bin zuversichtlich, euch jetzt wieder mit langen Blogeinträgen und vielleicht sogar Tanzvideos belästigen zu können. Jedenfalls habe ich einen ganzen Ordner voller Videos, komme aber nicht dazu, mich mit denen zu beschäftigen. 

Für den Krieg sollen wir jetzt nicht mehr nur frieren, sondern auch noch hungern. Ich hoffe ja, wir sollen nicht außerdem später im Sommer nur zweimal in der Woche duschen. Komisch bloß, daß Putin noch immer nicht kriegsmüde wird, denn für den war das ja bestimmt. Ich für meinen Teil habe bereits seit Jahren meinen vollen Beitrag zum Sieg geleistet, denn ich esse generell nur ein- bis zweimal am Tag. Wenn ich jetzt auf weitere Nahrung verzichten soll, bleibt nur noch Saftfasten. Man stelle sich vor, das würden alle machen - so könnte man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und der überdurchschnittlichen Zivilisations-Fettleibigkeit den Kampf ansagen. Krieg ist ja generell immer eine sehr fantastische Gelegenheit zum Fasten und damit zur Verlängerung des Lebens - wenn einem nicht zufällig eine Bombe auf den Kopf fällt. 

Das wiederum erinnert mich spontan an die Geschichte, wie Volkswirtschaftslehre mir das Leben gerettet hat. Na ja, ist vielleicht übertrieben ausgedrückt, aber ich weiß wirklich nicht, was damals passiert wäre, hätte ich nicht ein um eine Stunde verlängertes VWL-Seminar besuchen müssen. Bei meinem Studium hatte ich VWL stets in der letzten Unterrichtseinheit, Staatrecht dagegen immer ganz früh als erste Unterrichtseinheit. Heute wünschte ich mir manchmal, ich hätte kein Staatsrecht gehabt, denn dann würde ich jetzt wahrscheinlich einiges weniger seltsam finden und nicht viel mitbekommen, da völlig unbedarft. Einmal haben wir in VWL eine Stunde zum "Vorarbeiten" rangehängt, weil in der darauffolgenden Woche der Unterricht ausfallen sollte, Und ganz genau an diesem Tag, genau zu der Zeit, zu der ich normalerweise an einer Baustelle vorübergelaufen wäre, um von der U-Bahn in die S-Bahn umzusteigen, ist auf dieser Baustelle eine Fliegerbombe hochgegangen. Es gibt sogar noch alte Berichte davon:

https://www.nd-aktuell.de/artikel/507245.fliegerbombe-explodiert-n-tote-schwerverletzte-grosse-schaeden.html

https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/tote-schreie-verletzte-die-explosion-von-friedrichshain

https://www.tagesspiegel.de/berlin/blindgaenger-am-alexanderplatz-ein-knall-dann-war-die-bombe-entschaerft/24459976.html (Die Bombe von 1994 wird im Artikel erwähnt)

https://taz.de/Toedliche-Explosion-war-vermeidbar/!1542800/

Ich kann mich erinnern, daß ich nach dem Unterricht stundenlang in Berlin umhergeirrt bin, weil nichts mehr fuhr. Deshalb mußte ich gucken, wo ich die nächste Straßenbahn oder den nächsten Bus Richtung Heimat finde. Nach zwei bis drei Stunden war ich schließlich erst spät am Abend zu Hause. Damals war das schon erschütternd genug, aber heute denke ich noch einmal ganz anders darüber nach, denn im Hinblick auf diesen Krieg in Europa finde ich es wirklich pervers, wie lange so ein Krieg sogar dann noch Folgen zeigt und Opfer fordert, wenn er bereits fast 50 Jahre zurückliegt.

Seltsamerweise empfindet man das aber als ganz normal und denkt gar nicht weiter darüber nach, weil man es von klein auf nicht anders kennt. Ich wurde als Kind ständig von meinen Eltern ermahnt, ich solle nichts Verrostetes anfassen, das sich irgendwo in der Erde befindet. Und ich mußte oft ermahnt werden, da ich als Kind gerne Archäologin spielte. Dazu kroch ich ins Gestrüpp und begann in der Erde zu graben. Und ich fand auch einige Sachen: ein Kaninchenskelett und alte Münzen aus dem Deutschen Reich. Jedesmal, wenn ich dann stolz so eine alte Münze zu meinen Eltern trug, hieß es wieder - aber du fäßt ja nichts Verrostetes an, hörst du! Irgendwann wird diese Gefahr dann völlig normal, obwohl es das nicht ist. Genauso weiß die Epigenetik ja inzwischen, daß sich ein Trauma in die Gene einschreibt und sich dadurch auf nachfolgende Generationen überträgt. Das heißt, daß ich und andere meiner Generation, aber auch noch spätere Generationen, physisch und psychisch mit Folgen eines Kriegstraumas konfrontiert sind, bei dessen Ursprung wir gar nicht dabei gewesen sind. Psychologen wissen das und fragen deshalb immer nach, ob es bei älteren Familienmitgliedern ein Kriegstrauma gab. Leider wird aber viel zu wenig wirklich darüber geredet, auch heute noch. Denn oft sind es genau diese nicht verstandenen Folgen eines Kriegstraumas, die später erneut zum Krieg führen.

Ich habe neulich mal von einem ganz besonderen archäologischem Berufsbild gehört, nämlich von einer Expertin für Dinosaurierexkremente. Stelle ich mir witzig vor, wenn man gefragt wird, was man beruflich macht und antwortet: "Ich bin Expertin für Dinosaurierexkremente." Ich persönlich finde aber andere historische Dinge deutlich spannender.

Tulpe

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