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Samstag, 26. Januar 2019

Von intuitivem Tanzen und Wohnsärgen

Morgens hatte ich einen Ohrwurm, aber einen wirklich schönen, keine Ahnung, wie ich dazu gekommen bin, denn es hat nicht geregnet. Mit "Singing in the rain" im Ohr kam ich spontan in Tanzlaune und legte in einem Rutsch und ohne Nachzudenken eine ganze Choreografie hin. Dies fiel mir allerdings erst hinterher auf. Oh wow, dachte ich, das war ja schon eine richtige Choreo. Wo kam die denn her? Die sollte ich mir merken. Ja, toll - nur leider kann ich mich später nach solchen spontanen und intuitiven Tänzen nie erinnern, was ich eigentlich getanzt habe (bzw. wie bei Zumbaveranstaltungen, höchstens ein oder zwei Schritte). Versuche ich mühsam zu rekonstruieren, was ich getanzt habe, ist es nie mehr dasselbe und fühlt sich auch nicht mehr so an. Und das hasse ich manchmal am Tanzen, denn gerade solche spontanen und völlig unkonzentrierten Tanzmomente sind teilweise sehr wunderbar, geradezu so, als wären alle Tänze der Welt bereits in meinem Körper abgespeichert wie in einer Bibliothek und würden bei solchen seltenen Erlebnissen mit Leichtigkeit abgerufen. Fast kommt es mir wie eine Art von Channeln vor, so als würde etwas oder jemand anderes tanzen. Und auch beim Channeln ist es ja wohl so, daß man sich hinterher nicht mehr an vieles erinnert. Beim Schreiben früher hatte ich manchmal ebenfalls diesen Eindruck, daß etwas anderes als ich geschrieben hat. Nur beim intuitiven Schreiben oder auch beim intuitiven Zeichnen/Malen hat man die Ergebnisse hinterher schwarz auf weiß sozusagen vor sich und kann sich dann darüber wundern oder auch nicht, aber beim intuitiven Tanzen sind es einfach nur flüchtige kurze Momente, die im nächsten Augenblick schon wieder unwiederbringlich verloren sind. Das macht mich manchmal richtig traurig. Überhaupt ist Tanzen im Grunde ein einziges großes Loslassen. Bereits das Tanzen an sich funktioniert gar nicht, wenn man nicht loslassen kann und nach dem Tanzen muß man wiederum alles loslassen. Eigentlich ist das Loslassen sogar die größte Herausforderung beim Tanzen, zumindest für so ein Archiviertier wie mich und jemanden, der so viel nachdenkt wie ich.

Natürlich könnte man Bewegung mit einer Kamera aufnehmen, aber zum einen habe ich gar keinen Platz dafür, man würde immer nur einzelne Körperteile sehen, und zum anderen befürchte ich auch, wenn ich mir so etwas anschauen würde, wäre ich vielleicht enttäuscht, weil es dann doch überhaupt nicht so aussieht, wie es sich angefühlt hat. Beim Tanzen ist es ziemlich schwierig, sich selbst richtig einzuschätzen. Im Gegenteil zu Bildern oder Texten sieht man sich ja nicht. Aber selbst wenn man sich sieht finde ich es viel komplizierter, einen objektiven Eindruck zu bekommen. Beim Tanzen in einen Spiegel zu schauen bringt nichts, weil es nur vom Tanzen ablenkt, und damit das Bild verfälscht, aber auch in einem Film würde man eher auf die Details schauen, die einem vielleicht nicht gefallen. Doch darum geht es ja nicht,sondern um den Gesamteindruck und ich glaube, diesen können wahrscheinlich immer nur andere wahrnehmen (wenn auch vermutlich stets je nach Geschmack subjektiv gefärbt). Vielleicht ist das mit ein Grund, daß Tanzen für einige Menschen besonders schwierig ist (scheinbar in Deutschland häufiger), weil halt die Kontrolle fehlt. Erst wenn man bereit ist, die Kontrolle abzugeben und nicht mehr allzu viel auf die Meinung anderer gibt, oder aber sich in einem geschützten Raum befindet (das heißt ein Raum ohne Wertungen), läuft es.

Immer wieder nervt es mich, daß ich viel zu wenig Platz habe. Ab und zu zumindest bräuchte ich eine Spielwiese, auf der ich mich richtig austoben kann. Ich habe gesehen, daß es bei mir in der Nähe ein Haus mit Tanzstudios gibt, die man stundenweise anmieten kann. Allerdings würde ich mir doch etwas komisch vorkommen, mir unter all den "Professionellen" die dort herumlaufen, ein Studio nur für mein zeitweises ausuferndes Herumgehoppel anzumieten. In der anderen Richtung von mir liegt ein großes Haus mit Lagerräumen. Dorthin gingen meine Gedanken ebenfalls schon. Wenn man ein großes Lagerabteil anmietet, ist es ja eigentlich egal, was man da drin macht. Aber vermutlich würde ich es nicht wirklich sehr oft nutzen, weil ja in den meisten Fällen doch meine Küche gerade so ausreicht, auch wenn ich mich immer wieder drehen und wenden muß. Ich kenne auch keine anderen Leute, die unbedingt eine Spielwiese brauchen, mit denen man sich so ein Abteil teilen kann.

Platz wird ja anscheinend eh immer rarer. Die winzigen Wohnungen in meinem Haus waren früher nur von Einzelpersonen bewohnt. Inzwischen wohnen hier teilweise sogar Familien mit Kindern drin. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die das machen und irgendwie tun mir die Kinder total leid, die so beengt aufwachsen müssen. Aus der Wohnung nebenan höre ich jetzt dauernd Babygeschrei, und zwar richtig laut, schließlich sind die Wohnungen sehr hellhörig. Klar, bei einzelnen Bewohnern hält sich da die Geräuschkulisse gerade so in Grenzen, aber schon bei zwei Bewohnern wird es grenzwertig, ganz zu schweigen, wenn Kinder vorhanden sind. Alles eine Folge der überteuerten Wohnungen, die sich niemand mehr leisten kann. Heute sah ich auf facebook das Wohnungsangebot für eine 25 qm-Wohnung, welche 830 € kosten sollte. Ich weiß jetzt nicht, ob Kalt- oder Warmmiete, aber bei diesem Preis ist das eh schon wurst. Da kann man sich nur noch an den Kopf fassen und fragen, wer zum Teufel, der soviel Geld tatsächlich für eine Wohnung ausgeben kann, denn eine 1-Zimmer-Wohnung mit 25 qm anmietet. Damit kann man ja noch nicht einmal eine WG einrichten. Da schwelge ich mit meinen 46 qm, die ich glücklicherweise noch allein bezahlen kann, direkt im Luxus. Aber irgendwie ist das alles so krank. Wahrscheinlich wird es bei uns ebenfalls irgendwann so wie in Japan kommen, wo man sich sogar, wenn man arbeiten geht, nur noch ein "Schlafschließfach" leisten kann. Sozusagen der Wohnsarg für die Lebenden. In solchen Schlafschließfächern tanzt aber niemand mehr. Und wahrscheinlich ist das auch gar nicht erwünscht. Es wird nur erwartet, daß man arbeitet, alles Geld für vermeintliche Trösterchen ausgibt und stirbt.

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