ThingsGuide

Mittwoch, 6. März 2019

Der Leibhaftige

Nein, nicht DER Leibhaftige, aber der leibhaftige Herr Luchterhand ist mir erschienen. Wer nicht weiß, wer Herr Luchterhand ist, sollte es nachholen, meinen Roman zu lesen. Aber das schlimmste ist, er ist mir nicht einfach irgendwo erschienen, nein - er ist mein neuer Nachbar! Er sieht nicht nur so aus, er hat zumindest gestern genauso vor meiner Tür gestanden wie ich Herrn Luchterhand beschrieben habe. Ein älterer distinguierter Herr mit grauen Schläfen, dem es allerdings komplett die Sprache verschlagen hatte. Er konnte zwar sagen, daß er sich vorstellen wollte, und ich wartete und wartete, weil ich dachte, gleich kommt es, er nennt mir seinen Namen oder sagt zumindest, daß er der Nachbar ist, aber es kam nichts mehr. Schließlich riet ich und fragte so feststellend: "Ah, der neue Nachbar?" Ja - und das war es dann auch. Ich wünschte ihm noch einen schönen Abend, worauf er aber eher etwas weggetreten reagierte. Keine Ahnung, was ihm so die Sprache verschlagen hat. Ich kam gerade frisch aus der Dusche und hatte nasse Haare, allerdings war ich angezogen, das kann also nicht so verstörend gewesen sein.
Ich finde es erstaunlich, daß ein Herr in seinem Alter, ich würde ihn mindestens auf die sechzig zugehend schätzen, in eine Wohnung in der 4. Etage ohne Fahrstuhl zieht. Bisher hatte ich nur junge Nachbarn, bis auf den allerersten, und die haben sich nie vorgestellt. Darüber war ich allerdings auch nie traurig, denn früher oder später trifft man sich ja eh mal im Hausflur und auf diese Weise kommen peinliche Situationen wie obige gar nicht erst zustande.

Irgendwie waren die letzten drei Tage generell merkwürdig. Nicht nur, daß die Wetterfühligkeit und die geomagnetischen Aktivitäten ihr übriges getan haben und ich seit Sonntag, also bereits seit vier Tagen wieder Kopfschmerzen, bzw. eine Neuralgie habe, dazu noch dieses Getöse auf dem Dachboden und die seltsamen Begegnungen am Montag. Ich fragte mich heute zeitweise, ob ich vielleicht aus Versehen in einen Roman gerutscht bin und gar nicht mehr in der Realität lebe. Oder es ist umgekehrt und es ist die Zeit angebrochen, in der sämtliche Romanfiguren lebendig werden und beginnen auf Erden zu wandeln? Himmel, was habe ich getan? Glücklicherweise hatte ich aber keinen Heißhunger auf Bratkartoffeln, sondern auf Erbseneintopf. Da alles vorhanden war, was man dafür braucht, kochte ich einen großen Topf voll und aß gleich einen Teller zum Frühstück. Zwischendurch naschte ich nochmal ca. einen Teller aus dem Topf heraus und zum Abend gab es erneut einen Teller. Und ich könnte schon wieder. Aber ansonsten bin ich nicht zu viel gekommen, weil ich mich akkurat wie erschlagen fühle - auf den Kopf geschlagen. Leider kann ich morgen nicht weiter alle Viere von mir strecken und mich erholen, sondern habe Stress wegen eines Arzttermins (im Grunde stresst der mich schon seit einem halben Jahr).

Hundewächter

8 Kommentare:

  1. Wie erstaunlich, dass Sie annehmen ein 'älterer Herr' könne nicht mehr in die vierte Etage ziehen .... ich habe beispielsweise (als ich dort arbeitete, mit 60) eineinhalb Jahre in HH in einer solchen Wohnung gewohnt - ohne Fahrstuhl!
    Gleich nebenan wohnte ein Rentnerpaar, beide in ihren Achtzigern.

    Warum es dem Herren die Sprache verschlagen hat? Möglicherweise war er fasziniert von Ihnen?
    Und Sie waren sein *highlight* des Tages ....

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Na ja, ich erlebe häufig sogar junge Leute, die nach dem Aufstieg in den 4. Stock kurz vor dem Abnippeln sind, allerdings kenne ich es aus DDR-Zeiten auch noch, daß damals viel mehr ältere Leute in Wohnungen mit vielen Treppen gewohnt haben. Meine Tante wohnt mit 84 ebenfalls noch in einer Wohnung in der 4. Etage. Aber ich habe schon den Eindruck, daß sich das Verhältnis von jüngeren und älteren Bewohnern da sehr mehr zu jüngeren hin verschoben hat, was aber natürlich die Ausnahmen nicht ausschließt. Doch bei einer immer mehr zunehmenden Mentalität, mit der man überall mit dem Auto hinfährt und selbst im Fitnessstudio mit dem Auto vorfährt, wundert mich das nicht besonders. Mag sogar sein, daß inzwischen sogar die älteren Menschen, die es noch gewohnt sind, sich auch im Alltag viel zu bewegen, fitter sind als viele der jüngeren.

      Löschen
  2. Also, ich sehe zwei Möglichkeiten:
    So wie Sie in Herrn Luchterhand Ihre Romanfigur erkannt haben, hat selbige(r) vielleicht in Ihnen seine Autorin/Erfinderin erkannt?
    Oder, und das scheint mir die wahrscheinlichere Variante, er wollte, nachdem er offenbart hatte, sich vorstellen zu wollen, einfach zu einem kleinen Plausch hereingebeten werden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich hoffe mal, daß es sich nicht um die zweite Möglichkeit handelt, denn wenn jemand abends gegen 8 Uhr von einen fremden Nachbarn, der ihn noch nie gesehen hat, zum Plausch hereingebeten werden möchte, würde mich so viel Realitätsferne schon etwas beängstigen. Und das nicht nur wegen der Uhrzeit, sondern auch, weil ja dann jeder kommen könnte und sagen könnte "Ich bin Ihr neuer Nachbar" (bzw. es in diesem Fall nicht einmal sagt).

      Löschen
  3. Ja, da haben Sie vollkommen recht, die Szene erinnert mich auch etwas an den älteren Herrn (in Begleitung eines jüngeren), der mal an meiner Tür klingelte - im 4. Stock, gegenüber war nur noch der Dachboden) - und fragte: "Können Sie sich noch an mich erinnern?" Ich hatte die Tür fast schneller wieder zu als ich "nein" sagen konnte.

    AntwortenLöschen
  4. Wobei mich so eine Frage ja wieder neugierig machen würde. Ich hatte auch mal jemanden vor der Tür, der mich ständig fragte, ob ich ihn noch kenne und ich antworte zig mal, daß ich ihn nicht kenne. Bis er löste und es sich herausstellte, daß es ein Ex war, den ich wirklich bis zu dem Zeitpunkt, als er es sagte, nicht erkannt hatte. Schließlich bat ich ihn doch noch rein und wir quatschten ein bißchen - ok, hätte ich jetzt auch nicht unbedingt gebraucht, aber wie gesagt, neugierig bin ich dann schon.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das wäre in meinem Fall nicht zu empfehlen gewesen, denn es handelte sich, wie ich später erfuhr, tatsächlich um Gauner, die die Straße abklapperten: Der eine verwickelt Frau in ein Gespräch, der andere schaut sich derweil hinterrücks in der Wohnung um, und danach ist man um einige Wertgegenstände oder Bares ärmer. Eine bekannte Masche, der sich noch weitere hinzufügen ließen, die in meinem Bekanntenkreis passiert sind.
      Ganz allgemein kann man als Regel für unbekannte Besucher sowie unbekannte Telefonanrufer festhalten: Nie selbst die mögliche Lösung kundtun! Diese Regel haben Sie verletzt, evtl. war das der Grund für die Verblüffung Ihres Gegenübers.
      Entschuldigen Sie meine Penetranz, aber jetzt interessiert es mich einfach: War es denn nun tatsächlich der neue Nachbar - oder nicht?

      Löschen
    2. Ich hatte anhand der offen stehenden Tür gegenüber geraten und als er sich abwendete ging er dort hinein. Also gehe ich mal davon aus, daß er es auch ist. ;-)

      Löschen

Die Kommentare werden im Tresor gebunkert und bei Gefallen freigeschaltet. ,-)