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Freitag, 5. April 2019

Bei Lolek & Bolek oder polnische Verhältnisse

Wie ich bereits schrieb, hatte ich vor der Reise schon ein ungutes Gefühl. Daß die Abreise sich so stressig gestaltete, nahm mir dieses nicht. Wir sollten mit einem Kleinbus abgeholt werden, aber ich mußte dazu mit dem schweren, sehr schweren Koffer, erst woanders hin fahren und zu allem Überfluß sollten wir erst am Abend vorher erfahren, wann wir abgeholt werden. Da es mehr oder weniger Winter war, es an der See noch kühler ist und es sowieso in der Woche nochmal kalt werden sollte, wollte ich nun aber auch nicht an warmen Sachen sparen. Schon deshalb ist es blöd, im Winter zu verreisen. Ich war dann jedenfalls froh, daß ich meine Fellpuschen als Hausschuhe, zwei Paar Handwärmer und ein Paar Gummistiefel eingepackt hatte. Bei den eisigen Temperaturen wollte selbst ich nicht barfuß am Wasser spazieren, wobei ich es vielleicht gemacht hätte, wenn es nicht so umständlich gewesen wäre, sich in voller Montur, mit zwei Jacken und Tasche, Schuhe und Strümpfe auszuziehen, bzw. sie mit sandigen Füßen wieder anzuziehen. Das habe ich mir lieber erspart. Außerdem fand ich die Hundekacke am Strand nicht gerade einladend. Neben einer Völkerwanderung (trotz der Temperaturen) von Menschen am Strand, bekamen auch jede Menge Hunde dort ihren Auslauf. Spezielle Hundstrände, die nur für die Hunde gedacht sind, wie auf dem Darß, gibt es leider nicht. Die Gummistiefel indessen liefen sich erstaunlich bequem, sogar die vierstündige Wanderung über die Grenze erledigte ich damit ohne eine einzige Blase. Allerdings trug ich zusätzlich an den Kleinzehen noch einen Silkonschutz. Auch einen Bademantel schleppte ich mit, obwohl man vom Kurhotel Bademäntel bekam. Jedoch war mir schon klar, daß diese für mich viel zu klein und zu kurz sein würden und für mich nicht zu gebrauchen. Letzten Endes brauchte ich aber überhaupt keinen Bademantel, es ließ sich alles ohne und in bequemen Klamotten bewerkstelligen.

Ich begann also einige Tage vorher die Koffer zu packen und war der Meinung, ich hätte noch den gesamten Freitag zur Verfügung, bis ich abends erfahre, wann es im Laufe des nächsten Tages losgeht. Überraschend erfuhr ich jedoch am Nachmittag schon, daß wir früh um 5:30 h aufgesammelt werden und das bedeutete für mich, daß ich gegen 3:00 h früh hätte aufstehen und den Nachtbus hätte nehmen müssen. Deshalb disponierte ich um und beschloß, einen Bus spätabends zu nehmen und am andern Ort zu nächtigen. (Wenn man es denn nächtigen nennen kann - viel Schlaf war so und so nicht drin in Klamotten auf der Couch.) Dadurch wurde alles sehr hektisch, weil es nun schnell gehen mußte. Ich hätte es ja nett gefunden, wenn man wenigstens durch ein Zeitfenster vorgewarnt worden wäre, so daß man sich auf solche nächtlichen Abreisezeiten vorbereiten kann.

Es ist außerdem nicht zu empfehlen, spätnachts in einem roten Trenchcoat an der Bushaltestelle zu stehen, weil man so schnell mal mit einem gewissen Gewerbe verwechselt wird. Reisegeld hatte ich aber schon genug. Als dann der Fahrer uns gegen halb sechs am Morgen in den Bus verfrachtete und mich fragte, ob ich die Enkeltochter sei, worüber ich einen kurzen Augenblick stutzte, war dies der erste Moment, in welchem ich dachte, na ja, vielleicht wird es ja doch noch ganz lustig. Während der Fahrt entpuppte sich die frühe Abfahrt als segensreich, weil wir wirklich schnell vorankamen. Der Fahrer, ein urwüchsiger Berliner, plauderte nebenher gerne über Lolek & Bolek, wie er die Polen nannte. Schon gegen 9 Uhr fuhren wir in Swinemünde ein, wurden dort aber durch eine riesige Baustelle noch einmal auf Umwege geschickt. Überhaupt waren bereits die ersten Eindrücke ein Schock, was nicht nur an den vielen Baustellen lag. Es war ein wenig so, als würde man eine Zeitreise zurück in den tristesten Sozialismus machen und sogar das Kurviertel mit seinen Strandvillen wirkte so. Es sind zwar Villen, aber irgendwie war doch von außen alles nur halbfertig und billigst instand gehalten. Dazu waren über die gesamte Länge des Strandes die Dünen aufgerissen und abgeholzt, weil dort eine dritte breite Strandpromenade mit vielen Shoppingbuden hingebaut wird, wie die Anschlüsse, die auf der Baustelle aus der Erde ragten, vermuten ließen. Das Kurviertel von Swinemünde, welches fast nur aus Kurhotels besteht, wenn nicht sogar ganz Swinemünde, ist völlig auf die Massen von Gästen "zugeschnitten". Dies aber nicht im positiven Sinne. Ich vermute mal, daß im Sommer, auf dem breiten Strand mit immerhin schönem Sand, sich die Leute übereinander stapeln. Aber etwas zu sehen gibt es nicht wirklich viel, schon gar nicht etwas Eigenständiges, Eigentümliches oder gar Herausragendes, außer ein paar in billigster Manier hingerotzte "Attraktionen", die dann wohl den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen sollen. Im Prinzip habe ich ja nichts dagegen, im Urlaub Geld auszugeben, aber eben nicht für Müll. Sogar zu shoppen, wenn man schon sonst nicht viel machen kann, ist dort nicht möglich, weil überall nur der übliche Touristentünnef angeboten wird, der mich nicht interessiert. Und die Bekleidungsgeschäfte waren wohl eher auf die Seniorenzielgruppe spezialisiert. Vielleicht war die Woche aber auch zu kurz, um noch echte "Geheimtipps" aufzutun.

Bei den "Attraktionen" handelte es sich zum Beispiel um ein auf dem Kopf stehendes Haus (von denen es ja inzwischen mehrere gibt). Ich war selbst nicht drin, las aber in den Bewertungen, daß es total lieblos, teilweise nur mit Puppenmöbeln gebaut ist und sich der Besuch nicht lohnt. Reingefallen bin ich jedoch bei der "Attraktion", die als weltweit erstes 360 Grad Kino beworben wurde. Eine kreisrunde Leinwand mit 3D-Effekt, Drehboden und dazu täuschend echte XD-Effekte: Wind, Wellen, Blitz, Regen. Das alles mit fünf Filmen zur Auswahl. Das hat mich so neugierig gemacht, daß ich meinen Bruder überredete, es mit mir zu testen. Weil es nur ein kleiner Drehboden mit allerhöchstens zehn Stühlen ist und immer gähnende Leere in dem kleinen Kino herrschte, wollte ich mich nun nicht unbedingt ganz allein da hinein setzen. Wir bestellten also unseren Film, der im übrigen ganze zehn Minuten lang war und mußten mehr als eine halbe Stunde warten, weil es technische Probleme gab. Die Polin telefonierte hektisch hin und her, schleppte eine Leiter auf die Drehbühne, schraubte irgendwo herum und holte schließlich Hilfe in Form einer jüngeren Polin, die erstmal eine Proberunde mit dem Drehboden fuhr. Endlich durften wir zum zweiten Mal hinein und erhielten noch einen einführenden Vortrag in Englisch darüber, wo vorne und wo hinten ist, was ja bei einer kreisrunden Leinwand nicht so offensichtlich ist. Allerdings saßen wir auf Drehstühlen, hatten also die Möglichkeit, uns selbst jederzeit zu drehen. Der Drehboden drehte sich also, wir hatten die 3D-Brillen auf der Nase und der Film begann. Was den 3D-Effekt betraf, war das Bild total eigenartig. Da sehe ich in jedem normalen 3D-Film besser. Vielleicht war die zwar runde, aber sehr kleine Leinwand zu nah, aber irgendwie sah alles etwas verschwommen aus, was nicht nur mir so ging. Und vor allem sah ich hauptsächlich den schwarzen Dreck auf der Leinwand, der doch sehr vom sonstigen verschwommenen Bild ablenkte. Von Wellen merkte ich überhaupt nichts, obwohl wir den Piratenfilm hatten - die Drehbühne drehte sich halt wie ein Kinderkarussell, ruckelte ein bißchen und das wars. Dazu blies ein klitzekleines Lüftchen aus einem Windkanal und irgendwann kamen von oben ein paar Seifenblasen herunter. Da wir ja nun eine halbe Stunde hatten warten müssen, bekamen wir freundlicherweise noch einen zweiten Film als Entschädigung, der ebenfalls zehn Minuten ging und über das Sonnensystem in deutscher Sprache war. Die Effekte waren genau dieselben und nicht viel spektakulärer. Im Nachhinein gesehen war das für mich eine absolute Sitcom-Stunde, besonders wenn ich mir unsere dummen Gesichter vorstelle, als wir bedröppelt von nichts und ein paar Seifenblasen aus dem Kinoraum kamen. Einfach nur ein Witz. Ich wundere mich ja, daß sich so ein Angebot überhaupt halten kann, aber mein Bruder meinte, wenn einige der vielen Kurgäste nur einmal hineingehen und dann nie wieder, reicht das wahrscheinlich schon, damit sie ihr Auskommen haben.

So trist, wie Stadt ist, sind im übrigen ebenfalls die Polen. In den Bewertungen las man oft "Sie bemühen sich um Freundlichkeit." Bei dem Bemühen bleibt es dann aber auch. Die meisten wirken eher dauer-verdrießlich, oder wie meine Schwägerin meinte, hoffnungslos. Berlinern sagt man ja normalerweise keine Freundlichkeit nach, aber dagegen waren sogar unsere Berliner Fahrer, selbst der auf der Rückfahrt, der etwas serviler und zurückhaltender gewesen ist, ein Ausbund von Herzlichkeit. Zugunsten der Polen muß ich allerdings sagen, wenn ich länger in dieser Stadt ausharren müßte und mich dazu noch mit Horden von halbsenilen oder schwerhörigen Kurgästen herumärgern muß, würde ich wahrscheinlich auch sehr schnell trübsinnig werden.

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7 Kommentare:

  1. Ich merke schon, die Begeisterung hielt sich in engeren Grenzen. Am Strand liefen ja so viele Leute rum wie in Las Palomas.

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    1. Das war auch ein Grund, warum sich die Begeisterung in Grenzen hielt. ;-)

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    2. ich finde es eher erstaunlich in Anbetracht der Temperaturen. Dort müssen ja riesige Mengen an Touristen im Ort gewesen sein, wenn so viele am Strand anzutreffen waren.

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    3. Die Massen von Kurhotels in der Stadt brauchen ja alle ihre Gäste. Und gerade im Winter werden die Kururlaube in Polen nochmal verbilligt angeboten, sind sozusagen Superschnäppchen. Scheinbar greifen da viele zu, denen es sonst an der Ostsee zu teuer ist.

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  2. Ich glaube, du tust den Polen dort Unrecht. Wir haben hier auch welche, die im Sommer in umliegende Gärtnereien arbeiten. Die kommen schon Jahrelang her und sind auch öfter bei Nachbarschaftstreffen dabei, weil sie dann hier beim Nachbarn, der auch ihr Vorgesetzter ist, wohnen. Die sind alle freundlich und die Frauen sind sogar richtig fröhlich. Alle feiern gerne ;-) und lachen viel . Leider sprechen sie wenig Deutsch. Symphatisch sind sie trotzdem.
    Die Polen, die dort an der Küste arbeiten (auch über die Grenze in Deutschland) sind total unterbezahlt und ihr Arbeitsweg ist lang, weil es keine günstigen Zimmer Wohnungen für sie vor Ort gibt.
    Wer bei der Arbeit so ausgenutzt wird und kaum weiß, wovon er leben soll, kann eben nicht mehr immer fröhlich pfeifend seine Arbeit tun. Deine Schwägerin liegt mit dem Begriff "hoffnungslos" gar nicht falsch.
    Irgendwo muss das Geld ja gespart werden, wenn der Kururlaub so günstig angeboten wird. Die Investoren verzichten nicht auf ihren Gewinn. Soviel ist sicher.

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    1. Das meine ja. Da wir auch polnische Bekannte haben, weiß ich, daß nicht alle so sind. Aber dort eben doch sehr viele.

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    2. Ich! Ich meine das. (Wort verschluckt.)

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