Wunder

"Und was ist das Wunder? Die Evidenz der tiefenpsychologischen Erklärungen? Freuds individuelles Unbewußtes mit seinen vererbten Eigentümlichkeiten, instinktiven Zwängen, verdrängten Energien? Oder Jungs kollektives Unbewußtes mit dem Menschheitsgedächtnis, den erlittenen Mythen, der Kulturtradition? Es steckt beides drin. Doch die Erklärung ist nicht ganz so einfach, denn sie antwortet nicht auf die von der Poesie gestellten Frage: Wie und wann wird aus den Inhalten des Unbewußten Kunst?...
...Seine Vision der Romantik wird durch zwei Grundzüge bestimmt. Der eine ist die Zauberwelt. Die in die Stollen der Existenz und der Seele hinuntersteigt. Unter die Normalität. Das Gleichnis und das geflügelte Wort dazu liefert Tiecks 'Kaiser Octavian': die "mondbeglänzte Zaubernacht". Wo alles geschieht oder geschehen kann. Das Gute und das Böse, das Schöne und das Häßliche, das Erhabene und das Profane. Denn die Falltür zwischen Unbewußtem und Bewußtem springt hier auf. Und die schönen Ungeheuer aus der Tiefe der Stollen können herauskommen, ans Sonnenlicht. Wenn es der künstlerischen Form gelingt, sie zu beherrschen, kann große Dichtung daraus entstehen. Wie in den ersten Jahrzehnten Hölderlins und der Kunst des ungarischen Dichters Dániel Berzsenyi. Wenn es ihr nicht gelingt, sie zu beherrschen, zerfällt die große Dichtung und die große Dichterpersönlichkeit. Wie in den letzten Jahrzehnten Kleists und des ungarischen Dichters Mihály Vörösmarty."

(aus dem Nachwort zu Antal Szerbs Roman "Die Pendragon-Legende" von Timea Tankó)