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Montag, 10. Juni 2019

Lebensmitte

Bereits seit zwei Monaten beschäftigt mich in meinen Gedanken sehr intensiv das nächste Jahr. Der Grund dafür ist, daß es zwei einschneidende Jubiläen zu feiern gibt. Zum einen werde ich 50 Jahre alt und zum anderen kann ich gleichzeitig mein zehnjähriges Überleben feiern. Das ist schon etwas besonderes, vor allem in Hinblick dessen, daß es mit meinem Onkel gerade zuende geht. Im letzten Jahr hatte er noch den Ehrgeiz, die Fußballweltmeisterschaft zu erleben, ich weiß nicht, ob er in diesem Jahr irgendwelche Meisterschaftsambitionen hat. Ich könnte mir vorstellen, daß man mit künstlicher Ernährung und Morphium nicht mehr viel Lust auf Fußball oder sonst irgendetwas hat.
Natürlich ist es blöd, jetzt schon an den 50.Geburtstag zu denken, wenn noch nicht mal der 49.Geburtstag an der Reihe ist, aber die Gedanken lassen sich leider nicht stoppen. Allerdings muß ich trotzdem sagen, daß das, was mir so durch den Kopf geht, durchweg positiver ist als die Gedanken damals zum 40. Geburtstag. Das liegt vermutlich daran, daß sich nicht nur meine Lebensumstände zum besseren verändert haben, sondern auch meine Fitness. Ich fühle mich jetzt jedenfalls körperlich im Grunde wesentlich jünger als noch vor zehn Jahren, trotz der verschiedenen Beeinträchtigungen, und alleine das gibt schon ein viel optimistischeres Lebensgefühl. Immerhin habe ich bisher kein einziges graues Haar gefunden und bekomme noch immer Pickel. Als ich dachte, die werde ich irgendwann mal los, habe ich mich wohl zu früh gefreut. Dennoch hat mich das Alter nicht vergessen, wie ich an einer neuen, wenn auch minimalen Schwierigkeit mit dem Kleingedruckten bemerke. Jetzt fällt mir erst auf, wievieles eigentlich unmöglich klein gedruckt ist, was mich früher nie gestört hat.

Selbstverständlich ist so etwas ein Anlaß, sich intensiv zu fragen, wie man die zweite Hälfte seines Lebens verbringen möchte - wenn es denn noch eine Hälfte wird. Aber genauso ist es ein Anlaß zu realisieren, was sich in diesem Leben vermutlich nicht mehr verwirklichen läßt und möglich ist. Jedoch glaube ich, daß dies wahrscheinlich dann auch nicht wirklich wichtig gewesen ist. Vor allem möchte ich - dreimal dürft ihr raten - noch viel tanzen und theoretisch kann man das ja in jedem Alter machen, doch rein praktisch gesehen sage ich mir, daß genau jetzt der beste Zeitpunkt ist, denn je jünger um so anpassungsfähiger ist der Körper und regeneriert viel schneller. Und natürlich macht es mehr Spaß, wenn man noch halbwegs alle Körperteile frei bewegen kann. Vielleicht gelingt dies sogar mit achtzig noch, aber ich vermute trotzdem, daß das mit der Geschmeidigkeit eher schwieriger wird. Schreiben dagegen kann man selbst im Krankenbett, wenn es vielleicht auch nicht mehr so lange Romane werden wie "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Und vermutlich ist es sowieso viel besser, seine Zeit gar nicht erst zu verlieren, bzw. nicht noch mehr davon zu verlieren.
Oder wie ich irgendwo las: "Dancing is the loftiest, the most moving, the most beautiful of the arts, because it is not mere translation or abstraction from life; it is life itself." Deshalb bin ich da ganz pragmatisch und denke mir, erstmal leben und hinterher, wenn das nicht mehr so gut geht, kann man immer noch über das Leben philosophieren.

Beim Ausmisten des Kleiderschranks fand ich meine alten Steppschuhe, die ich ungefähr mit zwanzig Jahren kaufte. Ich habe sie nie benutzt, da keine Gelegenheit und viel zu laut. Aber gut, ich glaube, daß man Steppen selbst mit siebzig und einer gewissen Grundfitness noch lernen kann, mit dem Hip Hop-Tanzen sollte ich mich dagegen beeilen. Wobei ich mich manchmal frage, ob dieser Wunsch so ein Midlife-Crisis-Symptom ist, aber selbst dann wäre es völlig egal. Ich habe inzwischen zur Midlife-Crisis ein ganz neues Verhältnis und finde es schade, daß dieser Begriff oft eher abwertend gebraucht wird. Denn auch, wenn manches daran auf Jüngere vielleicht lächerlich wirkt, so setzt diese Sehnsucht, sich selbst noch einmal neu auszuprobieren, sehr intensive Energien frei, die, wenn nicht gerade zerstörerisch eingesetzt, enorm viel Potential haben, nicht nur neues dazuzulernen, sondern sich in jeder Hinsicht weiterzuentwickeln und nicht vorzeitig stehen zu bleiben. Aber ich muß mir immer wieder mal bewußt machen, daß ich das alles ja vor allem und hauptsächlich mache, um gesund zu bleiben. Und was das betrifft, habe ich mein Ziel bisher voll erreicht. Ich muß nicht mehr machen, ich muß es auch nicht besser machen, ich muß einfach nur weitermachen. Alles andere wird sich zeigen. Es so zu sehen, fühlt sich viel besser an, als nur zu sehen, was man nicht kann und nicht hat. Und es hilft auch mehr oder weniger dranzubleiben, wenn es mal nicht so viel Spaß macht und zäh wird, weil man von Ängsten, Sorgen, Zweifeln und sonstigen hartnäckigen Energiebremsen blockiert wird.

So eine heimliche schöne Vorstellung wäre ja außerdem, mich selbst zu meinem 50.Geburtstag mit einem straffen Body zu beschenken. Doch das bleibt sicher nur eine nette Vorstellung, denn es steht meinem Wunsch entgegen, das Leben jetzt zu genießen und nicht in der Zukunft. Fitness ist wichtig, aber dazu ist ein rundum straffer Body nicht unbedingt nötig. Lieber jetzt glücklich sein, als sich verdrießlich für irgendeine Wunschvorstellung in einer zweifelhaften Zukunft bis zur Erschöpfung abzurackern. Ziele sind natürlich trotzdem wichtig, aber eben nie so sehr, daß das Wohlbefinden in der Gegenwart darunter leidet, etwas woran ich mich selbst immer mal wieder erinnern muß. Ständig unzufrieden mit den eigenen Fortschritten zu sein, macht unentspannt, dabei bin ich doch eigentlich fit genug. Alles andere kann ich zwar anstreben, aber es wären eben nur Sahnehäubchen und Kirschen auf der Torte. Und doch zweifel ich manchmal selbst an meiner Einstellung dazu und denke: nur ein Jahr, ein einziges Jahr, schuften wie für Olympia und ohne Erbarmen und man hat für den Rest des Lebens ausgesorgt. Dann muß man nur noch halten, was nicht allzu schwer ist. Vielleicht ist diese Vorstellung nur eine Illusion, aber sie hat etwas Verführerisches, besonders wenn man eher ungeduldiger Natur und von den kleinen Minischrittchen genervt ist. Noch ist ein Jahr Zeit bis zum 50sten.

Und am Ende der Straße
steht ein Haus am See
Orangenbaumblätter
liegen auf dem Weg
Ich hab zwanzig Kinder (gestrichen),
meine Frau ist schön
Alle komm'n vorbei
ich brauch' nie rauszugeh'n

4 Kommentare:

  1. Das sind doch schöne Gedanken und Einsichten.
    Ach ja:
    wirst Du im nächsten Jahr wirklich 50 Jahre alt,
    der nur zum zweiten Male 25?
    Liebe Grüße!
    Lo

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    1. So kann man es natürlich auch sehen. Es soll ja auch Leute geben, die von Vierzig an rückwärts zählen. Dann würde ich Dreißig werden. *gg*

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  2. Eine gute Freundin, die mich erst seit meinem neunundvierzigsten Lebensjahr kennt, kann gar nicht glauben, dass ich mich bis Mitte Vierzig auch mit Pickeln herumgeplagt habe, sie hätte gedacht, meine Haut wäre immer schon so heil gewesen, wie sie sie kennt. Das war für mich ein jahrzentelanges Ärgernis. Ein paar Jahre nahm ich nur deswegen eine Mikropille, um einmal schöne Haut zu haben, dann nervte mich aber die Nebenwirkung, dass die Libido gedämpft wurde. Als ich vor über zehn Jahren Getreide vom Speiseplan gestrichen habe, ist nicht nur mein Asthma-Neurodermitis-Heuschnupfen-Problem spurlos verschwunden, sondern auch die Pickel. Jetzt habe ich nur noch ganz selten mal einen, kann aber auch nicht beurteilen, inwieweit die Wechseljahre hier wirken. Ich bin ja schon eine Weile drin. Dass du noch kein einziges graues Haar hast, zumal mit deiner Geschichte, ist ja phänomenal. Du bist ja eh ein jugendlicher Typ, der sicher immer für jünger gehalten wird. Was ich gar nicht mag am Altern, sind so ein paar bestimmte Linien im Gesicht, die sich verändern, der Schwerkraft geschuldet, dass die Kinnlinie nicht mehr so gerade ist, und diese Marionetten-Falten, wenn man mal gerade nicht breit lacht! Aber mann muss dankbar sein, wenn man ansonsten gesund ist. Das sind noch mit die bsten Lebensjahre, jetzt. Das muss einem ganz klar sein.

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    1. Bei mir ist es nicht das Getreide, sondern es sind hauptsächlich die Milchprodukte. Die versuche ich deshalb auch so viel wie möglich wegzulassen, allerdings esse ich schon gerne mal Käse. Für alles andere gibt es ja guten Ersatz, für Käse leider nicht. Und in Sachen aus dem Supermarkt oder auch in Restaurants ist fast überall entweder Sahne, Vollmilchpulver o.ä. drin. Weizenprodukte habe ich allerdings auch sehr reduziert, weil die bei mir Dellen machen, auch nicht besonders schön.

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