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Donnerstag, 8. Oktober 2020

Füchse, Männer und das Tanzen (mal wieder)

Als ich gestern nach dem Contemporary-Kurs nach Hause ging, schlich wieder der Herr Fuchs um die Ecke. Der scheint irgendwo in der Nähe zu wohnen und im Dunkeln auf Futtersuche zu gehen. Er lief direkt auf den Bürgersteig hinauf und dort ein kleines Stück vor mir her, vielleicht gerade mal zwei Meter entfernt, aber ohne sich im geringsten um mich zu kümmern. Nicht einmal einen kurzen abschätzenden Blick nach hinten warf er, fast so als wäre er ein Mensch und würde wie selbstverständlich mit anderen Menschen flanieren. Dann bog er nach rechts auf die Straße ab und lief mitten auf dieser Straße bis zu der großen Kreuzung, die er ebenso seelenruhig mittig überquerte. Da bereits nach 22 Uhr, waren nicht viele Autos unterwegs, aber er zottelte so gemütlich über die Straßen, daß ich bei mir dachte: "Na paß bloß auf, daß wir dich nicht als Fuchspelz von der Straße kratzen müssen!"

Ich hatte auch noch andere Begegnungen gestern abend, nämlich mit sehr plauderfreudigen Männern. Auf der Hinfahrt saß schräg gegenüber jemand, dem hing der Mundschutz unterm Kinn. Erst als die übliche Busansage kam, zog er ihn sich zumindest über den Mund, die Nase frei. Ich finde es faszinierend, wie ich derzeit beginne, Menschen zuallererst einmal über die Art des Mundschutzes und wie dieser getragen wird, einzuschätzen. Das ist eigentlich unsinnig, aber halt ein völlig natürliches Verhalten, da sowas in den ersten drei Sekunden der Wahrnehmung ein sehr offenbares Indiz ist, welches ja sonst beim ersten unbewußten Eindruck fehlt. Als wir dann nebeneinander an der Kreuzung standen, gegenüber von der S-Bahn, fragt er mich, wo er die S-Bahn findet. Ich zeige nach geradeaus und als wir die Straße überquert haben, fragt er mich, ob ich ebenfalls zur S-Bahn möchte und ich merke förmlich schon, wie er ansetzt zu plaudern, aber glücklicherweise (was ich natürlich nicht sage) muß ich in die andere Richtung. "Dann schönen Abend noch und tschüssi!" Ja, ebenso. 

Nach dem Kurs ging ich wie immer in den Supermarkt, da war aber gerade keine der normalen Kassen mit Laufband besetzt. Also bin ich an eine Schnellkasse, wo man die Sachen einfach auf einen Tisch legt. Der Kunde vor mir hatte gerade bezahlt, als ich dort stand und war beim Einpacken, da fiel mir eine Red Bull-Dose auf, die direkt in der Ecke neben der Kasse lag. Ich fragte also, ob die noch zu ihm gehöre. Beide, sowohl der Kassierer, als auch der Kunde bedanken sich überschwenglich, da die Dose wohl aus den Augen geraten war. So weit, so gut, aber während ich meine Produkte auspacke, bedankt sich der Kunde noch ein paar mal, so als hätte ich ihm einen verlorenen Hunderter hinterhergetragen, und bleibt auch die ganze Zeit bei der Kasse stehen. Dabei sagt er so Dinge wie "Sehr aufmerksam!" und "Super!" wobei er mich mit plauderfreudigen Augen anglitzert. Und ich möchte schwören, daß er unter der Maske gelächelt hat. Puh! Unschwer zu erraten, daß ich zur Zeit überhaupt nicht zum Plaudern aufgelegt bin. Und zwar weder mündlich noch schriftlich, wie man auch in meinem Blog leicht erkennen kann. Mistige Termine und immer neue technische Probleme beschäftigen mich gerade bis zum Autismus. 

Mein kaputtes Handy liegt immer noch im Backofen, da ich damit ins Hochrisikogebiet, nämlich nach Berlin-Mitte reisen muß. Wahrscheinlich wäre es gut, das so schnell wie möglich zu erledigen, bevor ich vielleicht nur für eine Fahrt nach Berlin-Mitte hinterher in zwei Wochen Quarantäne muß. Unmöglich ist ja heutzutage nichts mehr. Als ich jetzt wieder mein altes Handy hervorgekramt habe, das ich nur im Urlaub mitnehme, ist mir aufgefallen, daß ich mit meiner Zweitkarte keine SMS mehr empfangen kann. Ich kann SMS senden, normal telefonieren, aber alle Messages kommen neuerdings nur auf der Erstkarte an. Und ich hatte mich schon im Urlaub gewundert, warum ich zu meinem Geburtstag im Urlaub keine einzige Message erhalten habe! Nur die Emails sind über WLAN normal angekommen. Ich habe getestet, ob es funktioniert, wenn ich die Karte in ein anderes Handy einlege, aber da funktioniert es auch nicht. Also habe ich jetzt den Anbieter angeschrieben, aber noch keine Antwort erhalten. 

Im Grunde bin ich ganz froh, daß ich jetzt erstmal zwei Wochen Ferien vom Contemporary-Kurs habe, nicht nur wegen des ganzen Krams, der so anfällt, sondern auch in der Hoffnung, daß ich mal wieder mehr dazu komme, das Tanzen zu genießen. Im Kurs geht das leider nicht. Ich lerne dort unheimlich viel und wir üben extrem viel, auch anspruchsvolle Sachen, aber das wirkliche Genießen zur Musik kommt dort zu kurz. Mit Freestyle ist es schon wieder vorbei, es ist Drill - hoch, runter, hoch, runter, und bei der Choreo bin ich mir auch ohne zweiten Lockdown nicht sicher, ob wir noch mal dazu kommen, die wirklich für uns, zur Musik und ohne Geplapper zu tanzen. Manchmal frage ich mich, was ich mit einem Kurs soll, bei dem ich das Gelernte gar nicht zu meiner Freude einsetzen kann - weder im Kurs selbst noch außerhalb. Denn wenn ich den Platz hätte, um die gelernten Choreos und Bewegungen auch außerhalb des Kurses tanzen zu können, würde ich sagen, na gut ok, dann ist der Kurs eben nur das Üben. Aber diese Möglichkeit habe ich ja nicht, bzw. nur aufs Minimalste begrenzt. Wenn ich trotzdem so regelmäßig hingehe, dann deshalb, weil ich die Fortschritte bemerke, wie sich mein Körper verändert, wie mir bestimmte Bewegungen immer leichter fallen usw. usf. Wenn ich wieder so eine Verbesserung bemerke, wie zum Beispiel neulich, als ich quasi mit Leichtigkeit und so nebenbei spontan eine Bewegung machte, bei der ich beim Zumba sonst immer ins Ächzen gekommen bin, gibt mir das kurzfristig einen Motivationsschub, weil ich merke, daß der Kurs wirklich etwas bringt. Nur sind das Motivationsschübe, die allein vom Verstand ausgehen und deshalb von sehr kurzer Dauer sind. Meine Grundmotivation ist und bleibt einfach der Genuß, das hat mein Abi-Biolehrer schon sehr richtig erkannt, als er mir damals in der ersten Stunde auf den Kopf zusagte, ich sei eine Genießerin. Wahrscheinlich wird deshalb nix aus mir, weil ich kurzfristige Freude und Genuß einem langfristigem Erfolg vorziehe. *lol*

Aber alleine bei dem Gedanken, die ganze Zeit bis zur Erschöpfung für etwas zu schuften, das irgendwo in der Zukunft liegt und von dem ich noch nicht einmal weiß, ob es überhaupt eintreten wird oder was ich damit anfangen soll, sträuben sich mir die Nackenhaare. Natürlich gehört Routinearbeit und langweiliges Üben in allen Metiers mit dazu, um voranzukommen, aber wenn ich so oft wie möglich das auskosten und feiern kann, was ich gerade gelernt und erreicht habe, gibt das viel mehr Motivation, als sich für ein fernes Ziel hin ohne Lockerheit abzurackern. Kurz gesagt, ich finde, das Arbeiten und das Feiern und Spielen sollten im ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen, damit die Lebensgeister nicht abwandern. Und beim Tanzen bedeutet Feiern und Spielen für mich, daß ich einfach den Kopf ausschalten und ich selbst sein darf, meinen Körper und die Musik mit meiner eigenen instinktiven Autorität genießen darf, aber dazu muß man den Drill halt ab und zu mal unterbrechen und auf ein "noch mehr und noch weiter" verzichten. Ich frage mich oft, ob professionelle Tänzer (vor allem die mit klassischer Ausbildung), die ja über viele Jahre hinweg, meist schon in der Kindheit, so einem Drill ausgesetzt sind, und gerade in der Kindheit besonders beeinflußbar sind, sich einen unversehrten, eigenen und instinktiven Kern erhalten können oder ob sie irgendwann gebrochen werden und nur nach fremden Vorstellungen und Erwartungen tanzen, die sie komplett verinnerlicht haben. Und welche Auswirkungen hat so etwas auf die Gefühle? Das ist ein Thema, das mich in der Tat sehr interessiert, zumal ich mich viel mit dem Zusammenhang zwischen blockierten Energien, Gefühlen, Bewegung und Körperwahrnehmung beschäftige. 

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