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Donnerstag, 2. September 2021

Die Susi

Die Susi wohnte mit ihren Eltern in der Wohnung unter der Wohnung meiner Eltern und mir. Obwohl zwei bis drei Jahre jünger als ich, habe ich viel mit ihr gespielt, bzw. wir haben viel mit ihr gespielt, denn wir waren eigentlich ein Trio infernale. Sie, immer schon vorlaut und frühreif, passte gut zu uns. Ab und zu mußte sie allerdings auch darunter leiden, daß sie jünger war, z.B. als wir mehrere Bögen neue Teddybären-Briefmarken gegen ihre viel wertvolleren Briefmarken eintauschten. Sie merkte den Betrug erst, als ihre Eltern sie darauf aufmerksam machten, und sie wurde bitterböse - aber das nützte ihr nichts. 

In meiner Kindheit zählte es zu den schönsten, aber leider sehr seltenen Momenten, wenn meine Eltern beide abends nicht zu Hause waren. Selten bedeutet, daß so ein Höhepunkt vielleicht allerhöchstens einmal im Jahr zu erwarten war. Und obwohl unsere riesige Wohnung mit über hundert Quadratmetern abends und nachts durchaus recht unheimlich sein konnte, genoß ich das Alleinsein mehr, als daß ich mich deshalb verdrießen ließ. Ich behalf mir immer damit, daß ich überall, wo es zu dunkel wurde und wo ich sowieso nicht hinwollte, eben nicht hinging, im großen Wohnzimmer dagegen und dem dunklen Korridor, Diele usw. brannten alle Lichter. Außerdem war ja noch meine Katze da, die bei dem eventuellen Auftreten eines Monsters oder Einbrechers sich sofort hinter dem Ofen verkrochen und mich meinem Schicksal überlassen hätte. Aber zumindest wäre ich gewarnt gewesen. Sobald meine Eltern weg waren, tanzte ich erst einmal buchstäblich auf den Tischen, bzw. überall dort, wo ich nun viel Platz dafür hatte, wie dem großen Wohnzimmer. Da ging es dann auch schon mal über Stühle und Sofa, mit Hechtrollen hinauf und hinunter. Toben oder tanzen war bei uns in der Wohnung sonst eher ungern gesehen, außer in meine kleinen Zimmerchen, welches glücklicherweise über einem Hausflur lag, so daß ich mit meinem Getanze niemanden belästigen konnte. Sobald ich mich genug ausgetobt hatte, holte ich Limo und Eiscreme hervor, die ich mir heimlich schon vorher besorgt hatte, und die es nun als Nachtisch zum Broiler gab, den mir regelmäßig meine Mutter zum Abendessen kaufte, wenn sie nicht kochen würde. Dazu dann verbotenerweise jedes Fernsehprogramm, welches ich wollte. Natürlich nur bis Mitternacht, denn dann war damals noch Sendeschluß. Ich fand übrigens diesen Testton des Fernsehers immer sehr gruselig, weshalb ich auch sofort den Fernseher ausmachte, bzw. mich bemühte, vor dem Testton beim Fernseher zu sein (Fernbedienungen gab es noch nicht). So im Nachhinein denke ich manchmal, wie gut, daß diese Abende nicht wöchentlich vorkamen, denn sonst wäre es sicher böse mit mir geendet - oder aber es hätte nicht mehr so viel Spaß gemacht.

An einem dieser seltenen Abende hatte ich gerade ausgelassen mit meinem Tanzprogramm begonnen, als es draußen anfing laut zu donnern. Mir egal, juckt mich nicht, so lange ich ein Dach über dem Kopf habe. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Nanu? Meine Eltern hatten mir ausdrücklich verboten, jemanden hereinzulassen, aber neugierig war ich trotzdem. Erstmal durch den Briefschlitz schmulen - vor der Tür stand die Susi und bettelte: "Bitte laß mich rein! Meine Eltern sind nicht zuhause und ich habe Angst vor dem Gewitter!" Fand ich nicht so toll, aber wegschicken konnte ich sie auch nicht, obwohl mir meine Eltern gesagt hatten, ich soll niemanden hereinlassen. Also machte ich auf und bespaßte jetzt die Susi mit meinen Tanzkünsten und einigen Kissen- und Hindernisläufen. Zum Glück war sie immer ein dankbarer Abnehmer meiner Ideen und so tobten wir sehr schnell zu zweit herum. Da ihre Eltern unter uns nicht da waren, bekam es niemand mit, und irgendwelche Ängste konnte ich bei ihr nicht mehr feststellen. Als sie sich sehr spät nachts schließlich verabschiedete, hatte ich so ein bißchen das Gefühl, daß sie die Angst vor Gewitter nur vorgeschoben hatte, weil sie mich oben herumtanzen hörte und mitmachen wollte, statt allein zuhause zu sitzen. So wurde also aus einer Allein-Party eine Zu-Zweit-Party. Aber man sieht, auch damals war ich bereits die Königin aller Alleinparties.

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