Grausam müde seit zwei Tagen. Vielleicht ist das schon die Frühjahrsmüdigkeit. Oder es kommt von der dauernden stürmischen Atmosphäre. Diese Woche erhielt ich eine Urlaubskarte von der Ostsee mit folgendem Inhalt: "Soeben haben wir ohne Schaden zu nehmen, den Orkan an der Ostsee-Küste überstanden ... Zudem haben wir schönes Wetter." Ähm? Und gerade pfeift und klappert es schon wieder, daß man das Gefühl hat, das Haus hebt gleich ab. Mein Balkon sieht aus wie eine Unfallstelle. Dabei gewinne ich im 4. Stock noch nicht einmal etwas beim Sturm-Wichteln. Außerdem trage ich einen schnurrigen Ganzkörper-Muskelkater mit mir herum. Ich hoffe ja immer noch darauf, daß die paar Zentimeter mehr, die ich seit Weihnachten an Bauch und Po habe, Muskeln sind. Ich befürchte allerdings, das ist doch zum Teil eher eine Folge der regelmäßigen Lieferdienst-Gelage.
Letzte Nacht im Traum dagegen bin ich von einer Schulstunde zur nächsten gezogen. Wenn ich aufwachte und wieder einschlief, saß ich prompt in der nächsten Schulstunde. Und zwischen all den Schulstunden war ich schnell noch bei der Hochzeit von Angela Merkel. Die hatte für diese Feierlichkeit ein ganz ausgefallenes Ambiente ausgesucht. In einer großen Festhalle standen überall Badewannen in kleinen, dunkelroten Séparées, die aber offen zur großen Halle waren. Wenn man also die ganze Nacht so durch Schulstunden und noch eine Hochzeit hetzt, ist es wahrscheinlich auch kein Wunder, wenn man tagsüber hundemüde ist. Blöd ist das bei Lektüren, die nur mäßig spannend sind. Mit "Der Turm" bin ich zum Glück fertig. Jetzt lese ich "Lempriere's Wörterbuch" von Lawrence Norfolk. Das sind "nur" 600 Seiten, doch das erste Kapitel war mühsam. Das zweite Kapitel ist immerhin schon etwas besser. Aber so eine Nachtschicht wie in "Der Turm" beschrieben, wäre gerade der Horror für mich. Deshalb falle ich jetzt sofort ins Bett. Gute Nacht!
"In der B-Schicht, die nachts arbeitete, wurden weder Orden noch Medaillen hergestellt, sondern die sieben Bände der Rütten & Loeningschen Ausgabe der 'Recherche' von Proust gelesen. "Manchmal muß man die Menschen zu ihrem Glück zwingen", meinte Traugott Pfeffer. "Hier ist mein Bereich, und einer nach dem anderen, der meine Nachtschicht passiert, liest die Suche - Blatt für Blatt, Band für Band. Schlafen ist nicht zulässig. Ich werde Sie prüfen, ob Sie würdig, weil gründlich sind. Damit." Er zog ein Futteral aus seiner linken Hüft-Kitteltasche und entnahm eine im Elektrolytbad vergoldete, blinkend scharfgeschliffene Krawattennadel. Diese Nadel, erfuhr Christian von einem der zur Bewährung in der Produktion verurteilten Philosophen in der B-Schicht, stach Traugott Pfeffer in die Verlorene Zeit, schlug die Seite auf, las und begann zu fragen. "Machen Sie sich am besten Notizen", sagte der Philosoph. "Wen er einmal für wert befunden hat, Proust zu lesen, kommt nicht aus der Nachtschicht heraus, ehe er das gesamte Werk kennt."
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