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Dienstag, 22. März 2022

Zoff mit dem Bann

Mein vorletzter Eintrag hat mich wieder in die Vergangenheit meiner Familie zurückgeworfen und bei der Durchsicht alter Dokumente bin ich auf eine andere kleine Geschichte in Form recht hitzigen Briefwechsels gestoßen, den mein Großvater mit dem Ortsbann der Hitlerjugend der NSDAP hatte. Die hatten sich nämlich beschwert, daß mein Vater W. unentschuldigt dem Dienst in der Hitlerjugend ferngeblieben ist. Daraufhin hat ihnen mein Opa den Kopf gewaschen. Er führte an, daß sich mein Vater zum Zeitpunkt des Briefwechsels im Kriegseinsatz der Hitlerjugend befindet, wo er (so erzählte mein Vater) Gräben schaufeln mußte, und es vorher an der Organisation haperte. Dies war im August 1944, als mein Vater vierzehn Jahre alt gewesen ist. Am 25. März 1939 wurde die Mitgliedschaft in der HJ durch die Verordnung der "Jugenddienstpflicht" obligatorisch. Nur wenige Monate später, im Januar 1945, wurde mein Opa doch noch zum Kriegsdienst eingezogen. Ich frage mich ja, inwieweit dieser Streit wohl da eine Rolle gespielt hat. Wegen Untauglichkeit kam er jedoch nur in den regionalen Arbeitsdienst, wo er nach meiner Recherche zum Soldbuch wohl die Befreiung von Berlin miterlebt haben muß und dort auch in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Als er aus dieser zurückkehrte, erkannte ihn meine Oma zuerst nicht, weil er so zerlumpt war, und hielt ihn für einen Landstreicher. Außerdem hatten die Russen sein Klavier beschlagnahmt, auf das er sich so freute. Er war nämlich nicht nur Bankangestellter, bei der freiwilligen Feuerwehr und Luftschutzwart, sondern auch Leiter des örtlichen Gesangvereins. Aber sowas ist wahrscheinlich für den totalen Krieg nicht relevant, weshalb es in seinem Brief keine Erwähnung fand. Um zu verdeutlichen, wie hitzig es herging, zitiere ich ein paar kurze Ausschnitte. Interessant finde ich auch, wie man sich in den Argumenten auf den totalen Krieg beruft, um ja das Recht auf seiner Seite zu wissen. Kennt man ja heute noch, daß man völlig unsinnige und irrationale Themen rationalisiert und in kritische Argumente einbaut, also quasi so tut, als wäre das alles normal, um nicht ganz gecancelt zu werden.

Opa: "..Im übrigen scheint beim Bann noch nicht bekannt zu sein, daß mein Sohn seit Anfang August im Kriegseinsatz der HJ steht. Er müßte nach Ihrer Aufforderung von Einsatzort zur Ableistung des für den 13.8.angesetzten Dienstes erst zurückbeordert werden. Es wäre sehr angebracht, wenn dem hiesigen Gefolgschaftsführer klargemacht würde, daß es sich mit dem totalen Kriegseinsatz nicht verträgt, wenn er unbegründete Meldungen losläßt und dadurch unnötige Papiervergeudung, Verärgerung und Belastung des Postverkehrs verursacht. Für solche Mätzchen dürfte jetzt wohl wirklich keine Zeit mehr sein! Schließlich ist es unverständlich, warum der Gefolgschaftsführer nicht auch wie die anderen Jungen zum Kriegseinsatz herangezogen wird. Dort hätte er dann eine nützlichere Beschäftigung, als mit seinen unbegründeten Meldungen die Eltern zu belästigen. Heil Hitler!"

Antwort: "Wendungen wie "Mätzchen", "Papiervergeudung" usw., die Sie einer Parteidienststelle gegenüber gebrauchen, würden sicher auch den Herrn Kreisleiter interessieren....Daß W. dem Dienst längere Zeit unentschuldigt ferngeblieben ist, läßt sich keinesfalls dadurch entschuldigen, daß er nicht jedesmal benachrichtigt worden sei. Schließlich läßt es sich ja auch nicht mit dem totalen Kriegseinsatz, den Sie erwähnten, vereinbaren, daß die Führer ihre Zeit damit verschwenden, jeden Schwänzer zum Dienst heranzuschleppen....Der Gefolgschaftsführer, den auch zum Einsatz heranzuziehen Sie uns liebenswürdiger Weise vorschlugen, ist in der Landwirtschaft tätig. Es sind nur Berufler und Schüler herangezogen worden....Wir hoffen, daß W., wenn er zurückgekommen ist, wieder regelmäßig am Dienst teilnehmen wird. Heil Hitler!" 

Opa: "Auf Ihr Schreiben vom 7.8. teile ich Ihnen zunächst mit, daß ich bei nächster Gelegenheit selbst mit dem Kreisleiter über diese Sache sprechen werde. Den Ausdruck Schwänzer in Bezug auf W. weise ich entschieden zurück. Wenn sich jetzt die Jungen selbst nach dem Dienst erkundigen sollen, muß ihnen das vorher gesagt werden. Soviel mir bekannt ist, wird bei anderen Organisationen ein Dienstplan aufgestellt und jedem zur Kenntnis gebracht. In Burg aber ist es schon vorgekommen, daß die Jungen zum angesetzten Dienst erschienen sind, während die Herren Führer nicht anwesend waren, so daß die Gefolgschaft wieder nach Hause gehen mußte....Ich meinte in meinem Schreiben den Hitlerjungen Schaffarzick, der auch Schüler ist, aber nicht zum Einsatz herangezogen wurde. Er war anfangs auch eingeteilt und zum Appell erschienen, konnte dann aber zu Hause bleiben, obwohl er 2 Jahre älter ist als W.....Erst jetzt erfuhr ich, daß Gefolgschaftsführer ein Landwirtssohn aus Nüschen ist....Ob meine Arbeit in meinem Beruf, Feuerwehr und Luftschutz kriegswichtiger ist als Ihre Versendung von unbegründeten Aufforderungen, das zu beurteilen scheint mir die Verfasserin Ihres Schreibens noch zu unerfahren zu sein....Heil Hitler!"

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