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Mittwoch, 5. Oktober 2022

Puh, puh,

ich hatte vergessen, wie gerne meine Kollegin schnattert. Da ich ja nun heute wieder nicht tanzen konnte, genoß ich erst auf dem Balkon die gnädig reaktivierte Sonnenwärme bei 20 Grad und rief danach die ehemalige Kollegin an, die ich gestern überraschend traf. Und wir haben ganze zwei Stunden durchgequasselt, ich mußte sie irgendwann bremsen, sonst würden wir wahrscheinlich immer noch reden. Sie erzählte zum Schluß, sie hätte einige Tage, bevor wir uns gestern trafen, frühmorgens nach dem Aufwachen an mich gedacht. Und ich sagte so scherzhaft: "Es war hoffentlich etwas Schönes." Und sie so: "Von dir kann man ja nur Gutes denken!" 

Die Neuigkeiten waren nicht unbedingt alle erfreulich, aber das ist bei zunehmenden Alter ja normal. Doch eine Neuigkeit fand ich besonders krass. Diese Kollegin ist gleichzeitig auch die Mutter eines ehemaligen Mitschülers von mir, was ich aber damals nur zufällig mitbekam, da dieser einen anderen Nachnamen hatte. Er kam sie mal bei uns im Büro besuchen, ich erkannte ihn nicht und er mich auch nicht, doch als sie später seinen Namen erwähnte, wurde ich hellhörig und fragte sie aus, worauf sie erst etwas pikiert reagierte. Doch es stellte sich ganz schnell heraus, daß er tatsächlich mit mir in eine Klasse gegangen ist. Sie hatte schon damals kein leichtes Schicksal, weil ihr anderer Sohn, der psychisch krank war, Selbstmord beging, indem er sich aus dem Fenster stürzte. Damals war sie längere Zeit krankgeschrieben, und ich kann mich erinnern, daß ich einen Topf Alpenveilchen besorgte, als sie das erste Mal wieder zur Arbeit kam. 

Nun erzählte sie mir, daß auch ihr zweiter Sohn, also mein ehemaliger Mitschüler, schon seit 2012 tot ist, und zwar an einem Gehirnschlag verstorben. Aber besonders makaber - er ist genau am gleichen Tag im Jahr gestorben, an dem vorher der andere Sohn sich umgebracht hatte. Außerdem hatte sie dieselbe Erkrankung wie ich, allerdings vor mir und ich hatte das 2006 schon zufällig erfahren, und nun erzählt sie mir, daß drei weitere Kolleginnen, die damals im gleichen Haus wie wir arbeiteten, ebenfalls nach ihr erkrankt sind. Bereits bei meiner Erkrankung habe ich ja manchmal überlegt, ob das irgendwas mit diesem komischen Gebäude zu tun hatte, in dem wir zwei Jahre gesessen haben - so ein altes DDR-Hochhaus mit muffigen Teppichböden. Als ich ihr meine Gedanken mitteilte, meinte sie, genau dasselbe hätte sie ebenfalls schon gedacht. 

Natürlich kam man ebenso auf das Thema Politik - das läßt sich ja heute kaum noch vermeiden, und wir waren uns darin einig, daß unser Gesundheitsminister einen Sockenschuß hat. Aber auch auf die anderen war sie nicht gut zu sprechen und fragt sich, wie die überhaupt in so ein Amt gelangen konnten. Ganz besonders unseren Sondervermögen-Verwalter hat sie gefressen, nachdem auf Sylt mit Porsche und Privatjet geheiratet wurde. Sie meint, von den großen Parteien könne man niemanden mehr wählen, sie wählt deshalb nur noch die Grauen Panther. Trotzdem ist sie viermal geimpft und hat jetzt ständig so eine unerklärliche Schwäche in den Beinen, kommt nicht mehr die Treppen rauf und die Luft geht ihr aus. Die Ärzte wissen nicht, was das ist, und rätseln, ob neurologisch oder orthopädisch bedingt. 

Weiterhin erfuhr ich, daß sie eine Leih-Großmutter ist - ich wußte gar nicht, daß es sowas gibt. Sie hat ein "Leih-Enkelkind", das nicht ihr eigenes ist, aber welches sonst keine eigenen Großeltern hat, und kümmert sich halt wie eine Großmutter um ihren Enkel, holt ihn von der Schule ab, macht Hausaufgaben mit ihm usw. Da sie ja sehr ordentlich und gewissenhaft ist, hat sie auch schon für ihr Ableben alles geregelt und wird eine Luftbestattung erhalten, indem sie über Frankreich "aus dem Flugzeug geworfen wird", wie sie sich ausdrückte. "Wie jetzt?" fragte ich entsetzt, "Wird da die Urne aus dem Flugzeug geworfen und fällt jemandem auf den Kopf?" War zumindest mein erster Gedanke, und sie kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen, aber es wird nur die Asche aus dem Flugzeug verstreut. Kannte ich auch noch nicht. 

4 Kommentare:

  1. Asbesth in den Wänden?
    Leihgroßmutter zu sein ist super, ich zieh den Hut vor solchen Leuten.

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    1. Wer weiß, ob Asbest oder irgendetwas anderes. In solchen alten Neubauten kann man ja mit einigem rechnen. Ich frag mich nur, ob man sowas nicht vorher untersucht, bevor man öffentliche Büros darin unterbringt. Aber vielleicht schaut man auch nicht so genau hin, weil diese Gebäude so schön preiswert sind und das Land Berlin ja eh immer Geldmangel hat.

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    2. Ganz bestimmt wird das untersucht, bevor man Schulen in solchen Gebäuden einrichtet! Ironie off.
      Bei uns wurde sogar in die Wände reingebohrt, während des Unterrichts.

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