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Freitag, 3. März 2023

Verschwörungstheorie anno 1834

Könntet Leute, ihr doch sagen,

Wer dieses Kind, wer Kaspar Hauser war!

Laßt euch alle, alle fragen,

Damit die Untat werde offenbar!


Wer war‘s, die er Mutter nannte?

Wenn dieses Weib man Mutter nennen darf,

Das den eigenen Sohn verbannte

Und ihn in den finstern Kerker warf.


Pfingsten traf das arme Wesen

In Nürnberg anno 28 ein,

Trug `nen Brief, darin zu lesen,

Daß Schwollisché er gerne wollte sein.


Ach, so viel man sich auch mühte

Um den Findling, der so blaß und stumm war,

Traurig blieb er im Gemüte,

Wenn er auch durchaus nicht stumpf und dumm war.


Flüsternd sprach man, daß seine Stirne

Bestimmet sei für eine Krone Zier,

Doch mit teuflischem Gehirne

Macht man aus diesem Knaben fast ein Tier.


Später stach ein ungenannter

Kerl in Ansbach unsern Kaspar tot.

Er starb als ein Unbekannter,

Sein blaues Blut färbt dort die Erde rot.


Hat kein Fürst `ne Trän‘ vergossen,

Durch die vielleicht der Menschheit werde klar,

Weshalb denn dieses Blut geflossen,

Und wer der arme Junge wirklich war?


Fünfundzwanzig Silbergroschen

Gern zahl ich dem, der mir den Namen nennt,

Doch andere werden Gold für geben,

Daß keiner jenen Kaspar Hauser kennt. 

(Anonymes Bänkellied von 1834 - Das ungelöste Rätsel von Nürnberg, aus: Kaspar Hauser oder Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen)

Bänkellieder wurden damals auf Jahrmärkten usw. gesungen, um Nachrichten zu verbreiten. Das heißt, obiges Lied ist das, was man heute "Fakenews" nennen würde. Anselm von Feuerbach, ein deutscher Rechtsgelehrter, hat sein geheimes juristisches Traktat inklusive Indiziensammlung darüber, wer Kaspar Hauser sein könnte, 1832 ausschließlich der Königin Karoline von Bayern überbringen lassen. Diesen Teil hatte er vorher bei seiner Beschreibung des Falles von Kaspar Hauser wohlweislich weggelassen. Erst 19 Jahre nach Feuerbachs Tod 1833 wurde es vollständig durch seinen Sohn veröffentlicht und immer wieder, 1859, 1889 und 1892 unter Decknamen herausgebracht. Den Verlegern wurde der Prozeß gemacht und die Schrift mußte aus dem Handel gezogen werden. Aber wie man sieht, pfiffen es eh schon 1834 die Spatzen von den Dächern. Es wäre interessant zu erfahren, ob Bänkelsängern, die bei dieser Verbreitung von "Fakenews" erwischt wurden, ebenfalls Strafe drohte. Es gab auch böse Gerüchte darüber, daß Feuerbach vergiftet wurde, eine Obduktion bestätigte dies allerdings nicht. 

Mit dem heutigen Wissen darüber, wie richtig manche "Verschwörungstheoretiker" liegen, trotz aller sogenannten "Faktenchecks", die gut dafür bezahlt werden, nur einseitig zu "checken", was ja zur Zeit immer mehr ans Licht kommt und hoffentlich noch vollständig mit allen Wurzeln aufgearbeitet wird, fragt man sich bei dieser Lektüre, ob in der damaligen "Volksfalschinformation" mehr Wahrheit liegt, als einigen Königs- und Adelshäusern lieb war. 

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