Jeden Donnerstag und Freitag hört man mich jetzt immer fluchen, weil ich mich an diesen Tagen fühle, als sei ich von einem Lastwagen überrollt worden. Das Tieffliegen, das wir im Contemporary-Kurs betreiben, im Fachjargon flying low, ist sehr viel anstrengender als es in vielen Videos auf Youtube aussieht. Da nützt es auch nichts, daß wir im Vergleich dazu richtig langsam sind, also die reinste Rentnertruppe.
Diesmal war es wieder soweit, daß wir unseren eigenen Choreoteil basteln durften. Dazu hatte die Kursleiterin große Karten mit den Zitaten und Abbildern kluger Frauen ausgelegt, aus denen wir eine wählen sollten, um uns davon inspirieren zu lassen. Da ich mich in diesem Jahr mit Virginia Woolf beschäftigt hatte, fiel mir sofort deren Konterfei ins Auge und ich griff spontan danach. Das Zitat lautete: "Es schadet nicht, hinter die eigenen unleidlichen Gedanken einen Punkt zu setzen." Nun ja, danach ärgerte ich mich erst ein bißchen darüber, weil ich eigentlich keine Lust hatte, so "vergeistigt" zu tanzen. Das sollte sich aber schnell ändern.
Wir mußten unsere Choreo jeweils zweimal hintereinander tanzen, allerdings zeitversetzt und in einer Reihe stehend. Da ich die erste in der Reihe war, "durfte" ich beim ersten Mal immer alleine tanzen. Danach folgte dann der bisher eingeübte allgemeine Choreoteil, und gefühlt haben wir das hunderte Male wiederholt. Da war ich nun doch sehr froh, nur einen relativ "vergeistigten" Choreoteil zu haben. Aber selbst sowas ist überraschend anstrengend, auch wenn man sich dabei nur kurz auf dem Boden befindet. Ich finde es überhaupt immer wieder erstaunlich, wie einen das außer Atem bringt, selbst wenn man sich nur langsam dabei bewegt. Es muß wohl an der Kraft liegen, die man dabei aufwendet.
Und das ist auch der große Nachteil - es ist zwar ebenfalls irgendwie Kardiotraining, beansprucht aber dabei die Muskeln so stark, daß man dann zu Hause zu gar nichts anderem mehr kommt und in der Lage ist. Beim Zumbatraining habe ich nie erlebt, so starken Muskelkater zu haben, daß ich außer Gefecht gesetzt bin, d.h. man hat beim Zumba Kardiotraining, manchmal ein bißchen mehr, aber nie so viel, daß man z.B. keinen anderen Kurs mehr belegen oder zu Hause nichts mehr üben kann. Und wenn ich mich so vom Lastwagen überrollt fühle, eine Mischung aus Muskelkater und blauen Flecken, frage ich mich schon manchmal, wozu ich das eigentlich alles mache. Im Grunde braucht man sowas ja nicht. Es ist für den alltäglichen Bedarf völlig ausreichend, sich ohne Abstützen auf den Boden zu setzen und wieder aufstehen zu können, sowie eine gute Balance zu haben. Aber wenn ich dann in Videos sehe, mit welcher Leichtigkeit Tänzer über den Boden fegen, denke ich oft: "Das würde ich auch gerne können." Sobald ich mich dabei ertappe, frage ich mich wiederum, warum ich das so gerne können möchte. Was hätte ich davon? Ich habe ja nicht mal den Platz, um irgendwo über den Boden zu fegen. Und die ganzen Choreos, die ich dort lerne, sind alle für die Katz, weil ich die nirgendwo tanzen kann. Kurz gesagt: Ich weiß es einfach nicht. Vielleicht ist es dieser ominöse, vielzitierte Traum vom Fliegen, nur halt vom Tieffliegen.
Und wenn "Let's dance" so weiter macht, schalte ich bald nicht mehr ein. So langsam nervt es mich nämlich, ständig zu hören zu bekommen, was große Menschen, insbesondere große Frauen, beim Tanzen für Handikaps haben und eigentlich alles nicht können dürften. Das weiß ich schon selbst. Natürlich würde ich mir auch wünschen, etwas weniger Kilos über das Parkett schubsen zu müssen oder kleineren Abstand zwischen meinen Gliedmaßen zu haben. Schlimm genug, wenn einem als großem Menschen tatsächlich Steine in den Weg gelegt werden: Ich kann mich erinnern, daß wir uns in der Schule im Sportunterricht immer der Größe nach aufstellen mußten. Vor mir standen nur noch zwei weitere Mädchen, die etwas größer waren als ich. Eine davon wollte unbedingt zur Ballettschule, durfte aber nicht, weil sie zu groß war.
Außerdem, wenn man inzwischen sein Geschlecht frei wählen kann, unabhängig von körperlichen Merkmalen, warum kann ich dann nicht auch meine Körpergröße frei wählen? Ist ja ebenfalls nur ein völlig unwichtiges Körpermerkmal und es könnte sein, daß ich mich gar nicht als groß definiere und fühle. Gerade habe ich an einer Umfrage von Etsy teilgenommen und in dieser gab es zur Frage nach dem Geschlecht schon ganze fünf Antwortmöglichkeiten: weiblich, männlich, non-binär, keine Antwort und "Ich möchte meinen Gender selbst beschreiben": Textfeld. Also ich möchte meine Körpermerkmale auch selbst beschreiben und nicht als groß oder klein festgelegt werden. Ich bin nämlich mittelklein mit dezent verlängerter Reichweite. Ehrlich, man schaut sich solche Sendungen doch an, um motiviert zu werden, und nicht, um zu hören, daß man halt Pech gehabt hat mit seinem Körper!
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