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Samstag, 29. Juli 2023

Zeitreisen

Seit Wochen friere ich mir in meiner Wohnung einen Ast ab, mit nur wenigen wärmeren Tagen dazwischen. In meiner Hängematte liege ich inzwischen mit Fellpuschen und Wolldecke. Und nun sagt mir der Wetterdienst Höchsttemperaturen von gerade mal 17 Grad für die nächste Woche voraus. Da kann ich ja gleich wieder anfangen zu heizen. Wenn der Sommer so weiter geht, sind die Gasspeicher schon vor dem Winter leer. Und der Weltwetterdienst behauptet, wir hätten den heißesten Juli seit Jahrtausenden. Da muß ich wohl in eine Parallelwelt gerutscht sein, in welcher ich genau das Gegenteil erlebe, nämlich den kältesten Juli seit Jahrtausenden. 

Aber immerhin - jetzt wissen wir, daß der Hitzeschutzplan von Lauterbach bereits vor dessen Inkrafttreten wirkt. Genauso wie die Corona-Maßnahmen bereits gewirkt haben, bevor sie in Kraft getreten sind, laut Feststellung des RKI. Man fragt sich ja, warum ein Staat einen Haufen Geld für derart pseudowissenschaftliches Geschwurbel ausgibt. Auch das kann man sich eigentlich nur noch so erklären, daß die Regierung dieses Geschwurbel benötigt, damit sie sich weiter sicher fühlen kann, und es ihr eigentlich ansonsten völlig egal ist, ob das noch irgendjemand glaubt. 

In der letzten Nacht träumte ich statt von Kubicki zur Abwechslung mal von Gysi. Der Traum war aber etwas skurril. Ich traf ihn in der U-Bahn. Er war um Jahrzehnte jünger, saß mir gegenüber und - hatte lange Haare. Also schön voll und schulterlang. Ich weiß nicht, ob er überhaupt jemals lange Haare hatte und ich das vielleicht in einer Geschichtsdoku aufgeschnappt habe. Wir unterhielten uns über die "Sinnlosigkeit der Theorie", was immer das ist. Irgendwann stieg er aus und ich fuhr weiter, wunderte mich aber bald über die Bahnstationen. Es waren völlig andere Bahnhöfe als erwartet und von der Streckenführung her vorgesehen. Ich wußte gar nicht mehr, wo ich war. Erst als ich an der Tür stand und Leute mit seltsamen Frisuren und Kleidung sah, wurde mir klar, daß ich mich anscheinend auf einer Zeitreise in die Vergangenheit befand und daß die U-Bahn in dieser Zeit wohl anders fuhr. 

Ich hätte den Beitrag auch "Im falschen Zug mit Gysi" betiteln können, aber das wäre etwas sehr reißerisch und auch nicht die Wahrheit, denn er ist ja vor mir ausgestiegen. Wäre ich allerdings jemals Marxist-Leninist gewesen, müßte ich mir jetzt wohl wirklich Gedanken machen. War ich aber nie. Vielleicht habe ich im Traum nur meine Zeitreise vom Abend fortgesetzt. Jemand schrieb nämlich auf Twitter, er hätte gerne die Neunziger wieder, die waren viel schöner. Stimmt, dachte ich mir. Da hat man wenigstens noch richtig gefeiert und zusammengehalten. Alles begann Anfang der Neunziger mit Acid House und endete mit Loveparades mit mehr als 1,5 Millionen Besuchern. Es war die Zeit von Friede, Freude, Eierkuchen. Und ich habe zum Glück nichts ausgelassen (aber auch nicht übertrieben - deshalb kann ich mich noch so gut erinnern, meine Droge ist ja eh das Tanzen), worüber ich heute sehr froh bin. Nicht auszudenken, man wird alt und denkt sich - ach, hätt'ste doch nur. Nachholen ist wirklich schwierig, gerade deshalb weil jedes Jahrzehnt immer wieder ganz anders ist, so völlig anders. Inzwischen versuchen sie ja die Loveparade zu reanimieren, aber wenn man sich die Bilder anguckt, hat man doch das Gefühl, es ist eher ein totes Pferd, obwohl (oder weil?) es für Frieden und Abrüstung steht. Dr. Motte meint, es bestehe ein großer Bedarf an Tanzmusik. Richtig, ganz besonders ich habe einen großen Bedarf und Verschleiß an Tanzmusik. Aber irgendwie empfinde ich eher, daß es in diesem Jahrzehnt etwas komplett Neues braucht, und zwar nicht nur an Musik, sondern an Bewegung, und das Alte nur noch aus nostalgischen Gründen weiterexistiert, doch nicht mehr so recht hineinpassen will. Vielleicht befinden wir uns gerade in einer Art Fegefeuer, dem Raum dazwischen. Und vielleicht kristallisiert sich bald heraus, wohin die Reise wirklich geht. Denn in diesem kollektiven Ringen mit Ängsten, Machtmißbrauch, ideologischem Eifer und krankhaftem Narzissmus ist irgendwie nichts mehr sicher. 

Ich habe ja bereits ganze fünf Jahrzehnte hinter mir, die immer völlig verschieden waren. Es ist erstaunlich, wieviel in fünf Jahrzehnte hineinpasst. Und ich dachte gestern Abend vor dem Einschlafen an all die schönen Momente, die ich beim Feiern in den Neunzigern erlebt habe. Dabei denke ich ebenfalls regelmäßig noch an eine Omi, so um die Achtzig, die während einer Loveparade mit einer Sonnenblume im Knopfloch ravte, als ob es kein Morgen gäbe. Vermutlich gibt es sie auch nicht mehr, aber sie hatte noch richtig viel Spaß. Und ich frage mich dann, ob wohl im übernächsten Jahrzehnt und überübernächsten Jahrzehnt, also wenn ich Achtzig bin, wieder alles ganz anders ist und hoffentlich besser. 

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