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Freitag, 22. Dezember 2023

Der Frühling naht

Vielleicht sogar noch vor dem Weihnachtsmann. Sagen zumindest die Ringeltauben. Das Pärchen sitzt bei mir selbst in strömendem Regen in den Bäumen vor dem Fenster, turtelt, schnäbelt und balzt ohne Unterlaß. Bin ich im Zimmer, sitzen sie auf dieser Seite des Hauses im Baum, bin ich dagegen in der Küche, sitzen sie garantiert dort im Baum. Fast schon ein bißchen impertinent. Und als es gestern Abend vor der stürmischen Nacht wie aus Kannen goß, reckten sie ihre Flügel abwechselnd in die Höhe, wie jemand, der unter der Dusche steht und es sehr genießt. Das war nach so viel verliebter Beschäftigtheit wohl der perfekte Wellnessabend. 

Ich dagegen warte nicht auf den Frühling, sondern tauche lieber gleich in den Dschungel ab, genauer gesagt, den Amazonasdschungel. Nämlich in Form der Lektüre von >>"Die versunkene Stadt Z" von David Grann, welches vom Leben Percy Fawcetts handelt, der auf einer Amazonas-Expedition zusammen mit seinem Sohn spurlos verschwand.

"Es waren jedoch nicht die großen Raubtiere, die ihm und seinen Begleitern die meiste Angst machten. Es waren die zahllosen kleinen Plagegeister - etwa die Blattschneideameisen, die von Kleidern und Rucksäcken über Nacht nur Fetzen übrig ließen, die Zecken, die sich wie Blutegel (eine weitere Plage) festsaugten, oder die rot behaarten Sandflöhe, die menschliches Gewebe fraßen. Die Zyanid verspritzenden Tausendfüßler. Die parasitären Würmer, die Blindheit hervorrufen konnten. Die Bohrfliegen, die ihren Legestachel durch die Kleidung hindurchbohrten  und ihre Eier unter der Haut ablegten, wo später die Larven schlüpften und sich eingruben. Die fast unsichtbaren Stechmücken, die Piums genannt wurden und die Körper der Entdecker mit juckenden Stichen übersäten. Dann gab es noch die "Kusswanzen", die ihre Opfer in die Lippen beißen und dabei Einzeller namens Trypanosoma cruzi übertragen. Zwanzig Jahre später stirbt die Person, die sich dem Dschungel glücklich entronnen glaubt, langsam an einer Herz- oder Hirnschwellung. Nichts jedoch war so schlimm wie die Moskitos. Sie übertrugen alles von der Malaria über das sogenannte "Knochenbrecherfieber" und Elefantiasis bis hin zu Gelbfieber."

"Sogar die Maden (unter der Haut), die Murray so geplagt hatten, entfernten sie (die Eingeborenen) auf geschickte Weise. 'Die Echojas machten ein seltsames, pfeifendes Geräusch mit der Zunge, und sofort kam der Kopf des Tieres aus seinem Loch hervor', schrieb Fawcett. 'Dann drückte der Indianer einmal kurz auf die wunde Stelle, und der Eindringling fiel heraus.' Dann fügte er hinzu: 'Ich hingegen saugte, schimpfte, pfiff und spielte meinen Maden sogar etwas auf der Flöte vor - ohne jede Wirkung.' Ein Schulmediziner, der Fawcett auf seiner Reise begleitete, hielt solche Methoden für Hexerei, doch Fawcett betrachtete sie, wie auch die vielen verschiedenen Kräuteranwendungen als Wunderwerk. 'Hier gibt es so viele Krankheiten und Seuchen, dass mich die Verwendung pflanzlicher Heilmittel nicht verwundert', sagte er. 'Für jede Unregelmäßigkeit scheint es eine entsprechende Naturheilung zu geben. Freilich ermuntert die Schulmedizin die Menschen nicht dazu, diese Heilmethoden anzuwenden. Oft werden damit jedoch bemerkenswerte Erfolge erzielt. Ich spreche als jemand, der mehrere ausprobiert hat und stets vollständig geheilt wurde.', schloss er."

"Für Menschenfleisch gab es üblicherweise zwei Zubereitungsarten: Rösten oder Kochen. Die Guayaki, die einen rituellen Kannibalismus praktizierten, wenn Mitglieder ihres Stammes starben, zerlegten die Leichen mit einem Bambusmesser, indem sie den Kopf und die Gliedmaßen vom Rumpf lösten. "Der Kopf und die Eingeweide werden nicht nach demselben 'Rezept' zubereitet wie das Muskelfleisch oder die inneren Organe", erklärte der Anthropologe Pierre Clastres, der den Stamm Anfang der Sechzigerjahre eine Zeit lang studierte. "Der Kopf wird zunächst sorgfältig rasiert.... und dann in Keramiktöpfen gekocht, wie auch die Eingeweide. Das Fleisch und die inneren Organe werden auf einen großen hölzernen Rost gelegt, unter dem ein Feuer entfacht wird.... Das Fleisch wird langsam geröstet und das durch die Hitze nach und nach frei werdende Fett mit einem Koto-Pinsel aufgenommen. Wenn das Fleisch für 'durch' befunden wird, verteilt man es unter den Anwesenden. Was nicht sofort gegessen wird, stellt man in den Körben der Frauen als Nahrung für den nächsten Tag zur Seite. Die Knochen werden zerbrochen und das Mark ausgesaugt, was insbesondere den Frauen sehr gut schmeckt."" 

Da kriegt man richtig Lust auf Sommer. Und wenn ich das so lese, bekomme ich irgendwie auch immer mehr Appetit auf eine Abenteuerkomödie im Stil von "Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten", die davon handelt, wie vegane Tierschützer zu einer Expedition in die Tiefen des Amazonasgebietes aufbrechen. Vielleicht wird dann aber eher eine Tragödie daraus.

Über den ersten Weltkrieg heißt es:

"Fawcett zitierte einen Kameraden und schrieb, der Kannibalismus liefere 'wenigstens ein nachvollziehbares Motiv für die Tötung eines Menschen, was man von der zivilisierten Kriegsführung nicht behaupten kann'.

Als Ernest Shackleton, der beinahe anderthalb Jahre lang durch die Antarktis marschiert war, im Jahre 1916 auf der Insel South Georgia im Südatlantik eintraf, fragte er unverzüglich jemanden: 'Sagen Sie, seit wann ist denn der Krieg vorbei?' Die angesprochene Person entgegnete: 'Der Krieg ist nicht vorbei. Europa ist verrückt geworden. Die ganze Welt ist verrückt geworden.'"


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