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Mittwoch, 28. August 2024

Rilke und der Sphinx

"1907 schaute und deutete Rilke das Objekt mit der reinen Kraft der Imagination, nun hat er sich der Übermacht des Eindrucks zu erwehren: „ . . . daß ich fast eine ganze Nacht unter dem großen Sphinx lag, wie vor ihm ausgeworfen, von all meinem Leben . . ., übrigens schützte mich die Dunkelheit, gesehen zu sein. Ich hatte sie draußen in der Wüste herangewacht, dann kam ich langsam, den Sphinx im Rücken, herein und rechnete, es müsse hinter der nächsten im Abendroth gewaltig verglühten Pyramide schon der Mond heraufsteigen; denn es war Vollmond. Und da ich sie endlich umgangen hatte, stand er nicht nur schon ziemlich vorgerückt im Himmel, er ergoß eine solche Fluth von Schein über die unendliche Landschaft, daß ich mir mit der Hand sein Licht abblenden mußte..., gegen dem riesigen Gebilde über suchte ich mir einen Platz und lag, in meinen Mantel gehüllt, erschrocken, namenlos theilnehmend, da. Ich weiß nicht, ob mir jemals mein Dasein so völlig zu Bewußtsein kam, wie in jenen Nachtstunden, in denen es allen Werth verlor: denn was war es gegen dies alles? Das Niveau, auf dem es sich abspielte, war ins Dunkel gerückt, alles, was Welt und Dasein ist, ging auf einer höheren Szene vor, auf der ein Gestirn und ein Gott sich schweigend entgegenweilten . . ., dies gerade war es, was ich in einem höchsten Grade erfuhr, hier erhob sich ein Gebild, das nach dem Himmel ausgerichtet war, an dem die Jahrtausende nichts wirkten als ein wenig verächtlichen Verfall, und es war das Unerhörteste, daß dies Ding menschliche Züge trug, (die uns innig kenntlichen Züge eines menschlichen Gesichts) . . ., dies, dies, was wir da abwechselnd ins Schicksal hineinhalten und in die eigenen Hände, es muß doch imstande sein, Großes zu bedeuten, wenn seine Form in solchen Umgebungen bestehen kann . . Von Zeit zu Zeit schloß ich die Augen und obwohl mir das Herz klopfte, so warf ich mir vor, dies nicht genug zu empfinden: mußte ich nicht an Stellen meines Staunens gerathen, an denen ich noch nicht gewesen war? . . . da wurde ich plötzlich, auf eine unerwartete Weise ins Vertrauen gezogen ... Ich begriff erst einen Augenblick hernach, was geschehen war . . .: Hinter dem Vorsprung der Königshaube an dem Haupt des Sphinx war eine Eule aufgeflogen und hatte langsam, unbeschreiblich hörbar in der reinen Tiefe der Nacht, mit ihrem weichen Flug das Angesicht gestreift: und nun stand auf meinem, von stundenlanger Nachtruhe ganz klar gewordenen Gehör der Kontur jener Wange, wie durch ein Wunder, eingezeichnet.“ 

Seine endgültige lyrische Formung fand dieses eindringliche Erlebnis jedoch erst in den Duineser Elegien (1922), wo es in Rilkes späte Gestalten- und Gedankenwelt eingeschmolzen wurde."

(aus "Rilke-Studien - Zu Werk und Wirkungsgeschichte" - bezahlter Link)

Rilke beschrieb dieses Erlebnis in einem Brief drei Jahre nach seiner Ägyptenreise. Mir persönlich gefällt diese Erzählung besser als die Duineser Elegien, weil es trotzdem noch sehr unmittelbar im Erleben und sinnlich faßbar wirkt. Die Duineser Elegien sind mir ein bißchen zu mariniert mit Soße. (Deshalb verlinke ich hier auch keine Rezitation der zehnten Elegie, sondern ein anderes kleines, aber feines Gedicht.)

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