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Freitag, 30. August 2024

Rilke und die Marxisten

Das Buch, aus dem ich im letzten Beitrag zitierte, stammt noch aus der DDR und deshalb darf darin natürlich auch kein Kapitel fehlen, in welchem man sich Rilke in Hinblick auf den marxistisch-leninistischen Klassenstandpunkt und in Fragen des Klassenkampfes annähert. Interessant dabei ist, daß sich da die Haltung mit der Zeit doch sehr veränderte. Während man in den früheren Jahren noch alles, was man irgendwie als "bürgerlich" klassifizierte, zerriß, wurde man später gnädiger, allerdings nur aufgrund der Einsicht Lenins, daß man eine sozialistische Kultur nicht erfinden kann, sondern sie sich aus den besten Vorbildern, Traditionen und aus der bestehenden Kultur entwickelt. Deshalb wurde es seit dem VIII. Parteitag der SED 1971 zu einer "immer dringenderen Aufgabe, die Reichtümer der bürgerlichen literarischen Tradition umfassend und differenziert zu erfassen." Bertolt Brecht war gar nicht gut auf Rilke zu sprechen, seine Verrisse zitiere ich hier erst gar nicht, und Johannes R. Becher hielt Rilkes Dichtkunst für ahuman. Ein besonderer Griff ins Klo war wohl für die Marxisten seine Verszeile "Armut ist ein großer Glanz von innen", auf welche sogar Parodien gedichtet wurden. Günther Dallmann z.B. schrieb 1930:

"Armut ist ein großer Glanz von innen..."

Mensch, det ist een dichterischer Spruch,

Und da liegt so wat Verträumtes drinnen...

Allerdings, ick kann mir nur besinnen:

Wir Proleten sagen: Armut ist ein Fluch.


"Armut ist ein großer Glanz von innen..."

Gehste stempeln, Mensch, dann denke dran!

Kannste mit dem Stempelgeld auch nichts beginnen,

Armut ist trotzdem ein Glanz von innen,

Sagen Brüning, Curtius, Scheidemann.


Und ein Jahr später schrieb Erich Weinert:


Du träumst dich in eine andere Welt hinüber,

Und freust dich, daß du dein Elend vergißt,

Weil das doch mal eine A b l e n k u n g ist!

Aber das ist ja der Zweck der Übung, mein Lieber!

Die wickeln dich ein mit phantastischem Zwirn

Und träufeln dir Opium in das Gehirn.


Da gibt es zum Beispiel nette Geschichten,

Wie die obern Zehntausend ihr Leben einrichten,

Wo man am Schluß die Überzeugung gewinnt,

Daß auch die Reichen nicht glücklich sind!

Oder sie schreiben Elendsromane

Und gießen über deine Misere

Ihrer letzten Weisheit tröstliche Sahne,

Daß die Armut ein Glanz nach innen wäre.

Später wurde diese Verszeile jedoch rehabilitiert, indem man auf den Trichter kam, "daß Rilkes Sympathie für das Volk, insbesondere das arme Volk, 'unverkennbar eine Abgrenzung von der herrschenden imperialistischen Ideologie`'..., darstellt."

Friedrich von Oppeln-Bronikowski (den heute wahrscheinlich niemand mehr kennt) kritisierte zum Stundenbuch von Rilke: "Marxens demokratische Brandreden gegen den Kapitalismus und Zarathustras aristokratischer Grimm auf die 'Pöbelherrschaft'  vereinigen sich hier mit Ruskins Haß auf die Maschinen und Wagners 'Götterdämmerung', die schopenhauerischen Nihilismus mit der alten Göttersage verquickt."

Und Friedrich Albrecht analysiert aus dem Buch "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", "daß Rilke, den man den Künstler neuen seelischen Reichtums genannt hatte, von seiner psychischen Unterwelt bedroht wurde, die er nur mühsam in Schach zu halten vermochte. Die Isolation von den lebendigen Volkskräften hatte seine Widerstandskraft gegen die menschen- und kulturfeindlichen Auswirkungen des Imperialismus unterhöhlt, wiederholt geriet er an die Grenze, wo ein bedrohter, seiner gesellschaftlichen Basis beraubter Humanismus in eine entgegengesetzte Haltung umschlagen kann." 

Rilke war der Zusammenhang zwischen Verinnerlichung und abgelehnter Wirklichkeit bewußt: "Es ist so viel Fremde um uns im Deutschland von heute, so viel ausgesprochene und verschwiegene Feindschaft, daß wir nur in uns selbst....Stütze und Vertrauen suchen dürfen." Es war seine Art, mit den gesellschaftlichen Spannungen der Vorkriegszeit und der Krise des ersten Weltkrieges umzugehen. Nur paßte es den Kommunisten gar nicht, wenn jemand nicht den Klassenkampf förderte, sondern spirituelle Resignation streute. Zur Nazizeit hätte man Rilke vermutlich des Defätismus bezichtigt, der damals strafrechtlich verfolgt wurde, >>so wie bei meiner Urgroßmutter, die durch ihre Aussage, sie hoffe, daß der Krieg bald vorbei ist, und diesen nicht mehr mitfinanzieren wollte, als vorbestraft galt und sich jede Woche bei der Polizeiwache zu melden hatte.

Etwas makaber wirkt es da, wenn im gleichen Buch auch Engels zitiert wird, der äußerte: "Die Ideologie ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denken vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt, sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß." Diese erstaunliche psychologische Reflektion beweist alleine dadurch schon ihre Richtigkeit, daß sie meist auf die "anderen" Ideologen angewendet wird, während man den Balken des Inhumanismus im eigenen Auge nicht wahrnimmt. Dies scheint wohl das hervorstechendste Merkmal aller Ideologien zu sein, seien sie nun rechts, links, exoterisch, esoterisch, wissenschaftlich, unwissenschaftlich oder was auch immer. Da erscheint die Analyse des Friedrich Albrecht wie eine Projektion. Denn sich für eine bessere Welt aktiv einzusetzen, für Gerechtigkeit, Akzeptanz und vieles mehr ist ja sehr löblich, und wenn es diese Kämpfe nicht gegeben hätte, wären wir wohl heute noch im Mittelalter, vor allem was Frauenrechte anbelangt, allerdings den eigenen Anspruch und die eigenen Überzeugungen anderen als Zwang überzustülpen führt genau dazu, daß der Humanismus von seiner Wurzel der Menschenliebe getrennt wird und dann in das Gegenteil umschlagen kann. Dorthin, wo der Fortschritt erzielt werden soll, indem die Individualität, die individuellen Bedürfnisse und der eigene Erfahrungsweg eines Menschen nicht mehr geachtet werden, bzw. die Bedürfnisse und Ideale einiger auf Kosten von anderen erfüllt werden, ohne daß diese gefragt werden. Das ist etwas, was man heute wieder sehr stark beobachten kann, in einer Zeit, in der Ideologien noch und nöcher ins Kraut schießen. 

Marga Franck bringt es auf den Punkt, indem sie 1938 schreibt: "Aber wir würden uns umgekehrt auch einer Vergewaltigung schuldig machen, wenn wir den Dichter einfach für uns reklamierten."

(alle Zitate aus "Rilke-Studien - Zu Werk- und Wirkungsgeschichte" - bezahlter Link)

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