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Sonntag, 15. Juni 2025

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"2. Floreal. Die Jakobiner beschäftigten sich mit einer wichtigen Angelegenheit. Der Steuereinnehmer von ihrer Abteilung, ein ängstlicher und schwieriger Beamter, ist auf den Einfall geraten, daß der Patriotismus sich nicht von der Steuerzahlung ausschließen dürfe, besonders wenn diese Steuern in die Staatskasse fallen; infolgedessen hatte er an die Gesellschaft geschrieben und mehrere Quartalbeträge fälligen Mietzinses gefordert, welche sie der Nation als Eigentümerin des Lokals der Jakobiner schulde. Die Entrüstung war groß und verlor an ihrer Heftigkeit nichts, als Collot d'Herbois, nachdem er die Gesinnung der Versammlung geprüft, rund heraus verlangte, der Schuldige solle vor das Revolutionstribunal gestellt werden, damit dieses seine Rechnungen ins reine bringe. So sind wir also zu jener Zeit zurückgekehrt, wo die großen Herren ihre Gläubiger zum Fenster hinauswarfen, mit dem Unterschiede nur, daß dieses Fenster heute nur eine Dachluke ist und die Guillotine heißt. Heute wurden sechs Verurteilte hingerichtet.

3. Floreal. Die angesehenen Bürger, die Männer von Besitz folgen sich ohne Unterbrechung auf der Guillotine. Wie viele wird man noch verschlingen? Die, welche uns regieren, sollten jedoch bedenken, daß diese täglichen Schlächtereien sehr gehässig geworden sind. Selbst die Troßbuben der Guillotine haben von ihrer Hitze und Wut verloren, und was die wirklichen Bürger anbelangt, so sind diese jetzt ganz anders gesonnen als im Pluviose. Wenn die Karren ankommen, so ist es, als ob die Pest vorbeizöge: Türen, Fenster, Läden werden geschlossen, die Straße bleibt öde...

5. Floreal. Als der König von Preußen im vergangenen Jahre in Verdun einzog, boten ihm die Einwohner die Schlüssel der Stadt dar, und Bürgerfrauen und Mädchen überreichten ihm Blumenkörbe. Die letzteren wohnten auch einem Balle bei, welchen der royalistische Magistrat dem Feinde veranstaltete, und tanzten mit den Offizieren. Wegen dieser Handlung wurden vierunddreißig Bürger und Bürgerinnen von Verdun vor das Revolutionstribunal gestellt und zum Tode verurteilt...

19. Floreal. ...Einer von ihnen (den Verurteilten des Tages - Anmerk.), Lavoisier, ist ein gelehrter Chemiker; er ersuchte den Vorsitzenden Coffinhal um einen Aufschub von vierzehn Tagen, um eine Entdeckung, welche der Nation von Nutzen wäre, zu beendigen; der Auvergnat antwortete ihm: »Das Volk braucht keine Chemie und bekümmert sich nicht um deine Entdeckungen.« Die Motive des Urteils beschuldigen sie, den Tabak durch verschlechternde Zusätze verfälscht zu haben, und dies bewog die Zuhörer zu abgeschmackten Witzen, die ich nicht anführen will. Die Mehrzahl von ihnen schien ohne Reue zu sterben; einige waren trostlos: man ist nicht ungestraft reich. Papillon d'Hauteroche sagte, mit einem Blick auf die Menge: »Was mich am meisten ärgert, ist nur, daß ich so unangenehme Erben habe.«...

Am 18. hat Robespierre eine Rede gehalten, in welcher er sich wirklich beredt zeigte, wahrscheinlich, weil er aufrichtig war. Infolge dieser Rede erklärten dieselben Repräsentanten, welche Gobels Abschwörung und dem daraus entstandenen Skandale Beifall gezollt hatten, durch ein Dekret, daß das französische Volk das Dasein des höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele wieder anerkenne. Viele Leute scherzen über diesen lieben Gott, mit dem wir durch das Gesetz versehen worden sind; aber alle Leidenden, und zu diesen möchte ich mich zählen, fühlen sich ein wenig durch diesen einfachen Satz getröstet. Wenn man das Dasein eines höchsten Wesens erklärt, so nimmt man die Verpflichtung auf sich, zur Gerechtigkeit, welche sein Gesetz ist, zurückzukehren. Daß dies bald geschehe, ist mein erstes Gebet, welches ich an den Gott des Konvents richte. Heute wurden acht hingerichtet...

29. Floreal. ...Heute morgen kam einer, der vor Mechanik und Patriotismus verrückt geworden war, und ersuchte mich, das von ihm verfertigte Modell zu einer Guillotine mit drei Fallbeilen zu prüfen; wenn ich noch lachen könnte, so würde mich sein Benehmen außerordentlich belustigt haben.....

14. Prairial. Agenten vom Komitee, die wir früher schlechthin Spione nannten, mischten sich heute unter die Leute, welche uns nach dem Place de la Révolution folgten. Jeden Tag sollen sie Bericht von den Ereignissen in der Nähe des Schafotts abstatten. Wenn diese Berichte wahr ausfallen, so werden diejenigen, welche die Agenten schicken, sich nicht sonderlich daran erbauen. Das Volk widert mehr und mehr diese Schlächterei an. Man schließt nicht nur die Häuser, sondern murrt auch ganz öffentlich. Gestern rief man: "Genug!"...

23. Prairial. Wo sind die Hoffnungen geblieben, die noch am neunzehnten jeder auf das Fest des folgenden Tages setzte! Das Revolutionstribunal ist umgestaltet; aber nicht wie jeder es wünschte, wie wenige es zu fordern wagten. Nach dem neuen Dekret wird die Strenge vermehrt, so unmöglich dies auch scheint; die Richter, die Geschworenen, die wir als unbarmherzig anklagten, werden als zu gemäßigt angesehen, entlassen und durch strengere ersetzt....

25. Prairial. Man hat die Klagen der Bürger aus der Rue Saint-Honoré, welche das Vorüberfahren unserer Karren nicht mehr ertragen konnten, berücksichtigt ... Da man die Hinrichtungen mit großer Lebhaftigkeit betreiben will, so schien es wahrscheinlich notwendig, für Zuschauer zu sorgen, deren Haß noch nicht abgestumpft ist; man zählte auf die Bürger der patriotischen Vorstadt, auf die arbeitsamen, aber armen Handwerker, um sich ein begeisterteres Publikum zu verschaffen als das aus dem Stadtviertel der Tulerien; man hat sich sehr getäuscht. Als wir in die Straße einbogen, wurden wir mit Geschrei, Hohngelächter, sogar mit Pfeifen empfangen. Diese Leute sind nicht so schüchtern wie die auf der Place de la Révolution,... Als die letzten Verurteilten hinaufstiegen, zeigte sich das Publikum weniger zahlreich, als es in der letzten Zeit auf der Place de la Révolution gewesen war; mit Ausnahme unsrer gewöhnlichen Schreihälse war der Platz fast verödet. Die Spione vom Komitee, die wir gut kennen, gerieten ganz aus der Fassung; sie hatten gehofft, das Volk würde die Pferde von den Karren ausspannen und seine sogenannten Feinde selber nach der Guillotine ziehen; aber dieses Volk hat denjenigen, die es zu kennen meinen, eine gute Lehre gegeben...

27. Prairial. (Begegnung mit Robespierre -Anmerk.) ...Wir kamen durch Clichy und schlugen einen Fußweg über die Getreidefelder ein. Diese noch grünen Felder sind voller Blumen. Die Kinder sprangen vor Freude und baten mich um die Erlaubnis, einen Blumenstrauß für die Tante zu pflücken; ohne meine Antwort abzuwarten, warfen sie sich in die Ähren. Ich setzte mich an den Abhang des Grabens, und sie liefen weiter. In der Hecke sahen sie wilde Rosen und wollten ihren Blumenstrauß damit vermehren; aber diese Blumen ergaben sich nicht wie die Mohnblumen, und sie erreichten ihren Zweck erst, nachdem sie sich die Finger an den Dornen zerstochen hatten. In diesem Augenblicke sah ich einen Bürger des Weges kommen, von einem großen Hunde gefolgt. Dieser Bürger betrachtete die Kinder und half ihnen bereitwillig. Er pflückte die Blumen, nach denen sie Verlangen hatten, teilte sie zur Hälfte und gab jedem der Kinder einen Teil. Ich sah, wie die Kleinen den Bürger küßten. Plaudernd und lachend näherten sich alle drei meinem Platze. Da erkannte ich ihn. Er trug einen blauen Rock, aber von dunklerer Farbe als am Zwanzigsten dieses Monats, ein gelbes Beinkleid und eine weiße Weste. Sein Haar war mit einer gewissen Zierlichkeit aufgebunden und gepudert. Den Hut hatte er auf ein Stöckchen gesteckt, das er über der Schulter trug. Seine Haltung war sehr steif; er hielt den Kopf ein wenig nach hinten über; seine Gesichtszüge hatten aber einen Ausdruck von Heiterkeit, der mich in Erstaunen setzte. Er fragte mich, ob dies meine Kinder seien. Ich antwortete, sie wären meine Nichten; er wünschte mir Glück über diese artigen Kinder und richtete nach diesem Kompliment wieder Fragen an die Kleinen. Marie machte einen kleinen Blumenstrauß und überreichte ihm denselben; er nahm ihn, steckte ihn in ein Knopfloch und fragte sie nach ihrem Namen, um sich, wie er sagte, daran erinnern zu können, wenn die Blumen verwelkt sein würden. Das arme Kind begnügte sich nicht mit seinem Taufnamen, sondern sagte ihm auch den anderen. Oh, ich habe nie eine auffallendere Veränderung in einem menschlichen Gesicht gesehen! Er fuhr auf, als hätte er auf eine Schlange getreten, und seine Stirn wurde von tausend Runzeln verdüstert. Er richtete unter seinen zuckenden Augenlidern einen starren Blick auf mich; seine blasse Gesichtsfarbe wurde erdfahl; er lächelte nicht mehr, eine schmale, fast unbemerkbare Linie kennzeichnete nur die Stelle seines Mundes und verlieh seinem Antlitz den Ausdruck unbeschreiblicher Härte. In barschem Tone und mit einem Hochmute, den ich bei dem Apostel der Gleichheit nicht erwartet hatte, begann er:

»Du bist ein – –«

Ich bückte mich, und er sprach seinen Satz nicht zu Ende. Einige Augenblicke blieb er in tiefes Nachdenken versunken; ich glaubte mehrmals, daß er sprechen wollte; er kämpfte sichtlich mit einem Widerwillen, den er nicht zu beherrschen vermochte. Endlich bückte er sich zu den Kindern nieder, umarmte sie mit großer Zärtlichkeit, rief seinen Hund und entfernte sich schnellen Schrittes, ohne mich anzusehen. Ich kehrte grübelnd heim, indem ich mich fragte, ob man über den Schrecken eines Menschen, der sich vor dem Beile, womit er tötet, entsetzt, lachen oder weinen müsse....

Nachdem über die Bittschriften Bericht erstattet worden, erschien Robespierre auf der Tribüne und begann seine Rede. Obgleich diese Rede eine fleißige Arbeit war, welcher er mehrere Wochen gewidmet hatte, so war sie doch nichts weniger als deutlich. Der Redner schien so lange darüber nachgedacht zu haben, um seine Gedanken desto besser zu verhehlen. Sie enthält für jede der Parteien in der Versammlung eine Wendung; schmeichelt und huldigt ihren Hoffnungen nach der Reihe ... Dies alles wird mit jener ewigen Selbstverteidigung, welche man in allen Reden Robespierres wiederfindet, umrahmt. Ein wenig weiter weist er mit Nachdruck die gegen ihn erhobene Beschuldigung zurück, er habe nach der Diktatur gestrebt; dann geht er schnell von der Verteidigung zum Angriff über und ruft das ewige Schreckgespenst der Verschwörung auf, das ihn schon von seinen fürchterlichsten Gegnern befreit hat; und ohne jemand zu bezeichnen, nach unbestimmten Beschuldigungen gegen die von ihren Missionen zurückgekehrten Repräsentanten, gegen die Komitees, nach einem heftigen Ausfall gegen Cambon, fordert er den Konvent auf, die Partei zu vernichten und die Verräter zu bestrafen..."

(Erst nach mehr als einem Jahr endete die Schreckensherrschaft, als sich einige Männer erfolgreich gegen Robespierre durchsetzten, als sie selbst um ihr Leben fürchten mussten. Robespierre wurde selber ein Opfer seiner Methoden und starb durch das Fallbeil - Anmerk.)

"Blut fordert Blut, sagt ein arabisches Sprichwort; man konnte also nicht erwarten, daß die Reaktion, welche den vierzehn Monaten jener Herrschaft voll Heftigkeit und Barbarei folgte, rein von Überschreitungen bleiben würde; was sich aber leicht nachweisen läßt, ist, daß der weiße Schrecken, wenn es einen solchen gab, wenigstens die Zügel der Gesetze achtete und nicht die schützenden Formen der Justiz verletzte...

Unter der eisernen Herrschaft der republikanischen Diktatur hatte die Zahl der Angriffe und Verbrechen gegen Eigentum und Personen in bedeutendem Grade abgenommen. Die Politik nahm alle Leidenschaften in Anspruch, sie mochten gut oder böse sein. Sobald aber der Thermidor das System des Druckes und der unnatürlichen Überreizung aufgehoben hatte, erschienen jene Verbrechen häufiger als jemals. Überall fand eine Rückwirkung statt: in den Gefühlen und Antrieben wie in den Ideen. Jeder schien, indem er sich das Elend des gestrigen Tages vergegenwärtigte, an dem folgenden Tag zu zweifeln und stürzte sich mit einer Art Wut in alle Genüsse, die er für verloren gehalten hatte. Der Durst nach Gold, welches alle jene Genüsse verschafft, und den die Neueren hatten zügeln wollen, war in aller Herzen zurückgekehrt. Die oberen Klassen der Gesellschaft bereicherten sich durch Spekulationen, durch Handel und den zügellosesten Wucher; in den unteren Schichten nahm man aufs neue zum Diebstahl und zuweilen zum Morde seine Zuflucht, um sich das kostbare Metall zu verschaffen. Der Konvent hatte sich durch seine wichtigen politischen Beschäftigungen hindern lassen, auch zuweilen der inneren Ordnung einige Aufmerksamkeit zu schenken. Vollkommen gerüstet gegen die Meinungen, war er doch gänzlich unfähig, als es sich darum handelte, die Bürger zu sichern und zu schützen. Die Straßenräuber vermehrten sich in Paris wie in der schrecklichsten Zeit der Monarchie; die Provinz wurde durch Strauchdiebe, Straßenräuber und Banditen beunruhigt...."

"Das nennt man Geschichte, und man glaubt zu träumen, indem man sie niederschreibt."

(aus "Die Tagebücher der Henker von Paris 1685 - 1847" - Provisionslink)

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